Meine Augen haben sich der Nacht angepasst. Schwarztöne. Blautöne. Lilatöne. Irgendwer mag sie benannt haben. Vermag die Unterschiede zu kennen.

Ich nicht. Ich kenne nur die schwarze Umrandung meiner Buchstaben und die chromfarbene Füllung.

Im Rucksack stoßen die Dosen aneinander. Geklaut im Baumarkt. Das wird sich nie ändern.

Ich verzichte auf Szene-Marken. Deckkraft. Leichtes Handling. Es widert mich an. Es entzerrt meinen Prozess. Den Rhythmus. Ich verbessere nur mit fat caps. Das Chrom glüht dann förmlich in der Nacht.

Ich kürze ab durch den Park. Ziehe an meiner John Players. Letzte Zigarette vorm Showdown. Mein Adrenalin steigt. Fast wie beim ersten Mal. Damals mit 15. Als wir alle noch cool waren. Der mit dem ersten Tag der Härteste war. Chewie schnappte sich damals als erster die Dose. Er sprühte irgendetwas. Nicht identifizierbar. Unüberlegt. Infantil.

Ich war als dritter dran. Ich wusste gleich die Can zu halten. Mein Tag. Das gleiche wie heute. GLOW. Erst auf Federmappen. Schultischen. Klos.

Dann auf Wänden. Mauern. Zügen und wenigen Autos.

Die John Players landet im nassen Gras des Parks. Ich verschwinde zwischen den Bäumen. Ich ziehe die Gummistiefel fest. Verstaue die Kippen in der Brusttasche der schwarzen Latzhose. Dann kämpfe ich mich durch das Gestrüpp.

Vögel zwitschern auf. Etwas knistert. Ein Igel? Ein Fuchs? Ein Dachs?

Ich knistere auch. Eine Woche habe ich die Stelle bereits beobachtet. Industrieanlage. Irgendein Zulieferer für die Autoindustrie. Arbeiten gerade nur tagsüber. Krise und so. Der Wachmann hat immer gepennt. Schaut sich Netflix oder Pornos an. Ist mit sich selbst beschäftigt.

Die Wand so weiß wie Schneewittchen. Tagsüber von einer Hauptverkehrsstraße gut sichtbar. Da erhöht.

Da auch die Herausforderung. Ich muss klettern. Auf ein Vordach. Und da stehe ich jetzt davor. Ich schnappe kurz nach Luft. Absprung. Meine Hände halten etwas. Regenrinne. Irgendein Metall. Ich ziehe mich hoch. Stütze mich mit den Füßen an der Mauer ab. Drücke mich nach oben. Dann stehe ich auf dem Vordach.

Sternenklarer Himmel. Die Wolken des späten Abends sind weggepustet. Regen wäre mir lieber.

Von weiten sehe ich Scheinwerfer. Sie kommen auf mich zu. Ich drücke mich an die Mauer. Sie sind vorbeigezogen.

Rucksack abgestellt. Gummihandschuhe über. Dosen heraus. Es geht los. Es klackt. Es zischt. Erst die Linien. Mir ist nach ganz groß. Ich übertreibe noch mehr als geplant. Meine fetteste Bombe?

Ich tausche schwarz gegen Chrom.

Weiße Wand wird zu Chrom. Silber. Wie der Schweif am Horizont.

Meine Augen folgen der Farbe. Mein Kopf sieht die vier Buchstaben. GLOW. Alles ausfüllen. Alles. Und noch einmal umranden. Auch wenn ich nicht geschmiert hab. Tradition. Und mein Tag. Yeah.

Ich sehe mein Werk an. Ich scanne es ein. Kein Foto. Nur die Erinnerung in meinem Kopf. Nur ich und das Piece. Keine Linse oder Kamera dazwischen. Nie. Nur der Augenblick.

Einatmen. Ausatmen. Genießen.

„Stehen bleiben. Polizei!“ ruft jemand. Ich stehe. Das würde ich gern antworten.

Jemand leuchtet die Chrombombe an. Von irgendwo unten.

„Antworten Sie. Sofort!“ wird gefordert. Es gab keine Frage. Ich antworte nicht. Ich werfe mir den Rucksack über. Ich sammle eine Dose ein. Dann springe ich vom Dach. Dort, wo der Lichtstrahl nicht herkam.

Ich renne. Ich verfluche die Tiefkühlpizza und das Dosenbier.

„Stehen bleiben! Polizei!“ höre ich neben mir. Ziemlich dicht sogar.

Ich gehorche nicht. Ich laufe. Um mein Leben.

„Stehen bleiben!“ schreit wieder jemand. Jetzt fast neben mir. Ich sehe ihn. Ein Bulle. Durchtrainiert. Schneller als ich.

Ich fühle die Dose in meiner Hand. Ich knalle sie ihm auf den Kopf. Wie einen Stein. Er geht zu Boden. Die Dose bleibt in meiner Hand. Ich renne weiter.

Ich habe etwas die Orientierung verloren. Weiß nicht, wo ich bin. Aus dem Industriegebiet bin ich bereits draußen. Ich sehe Wohnhäuser. Dann ein Straßenschild. Die Namen von Lyrikerinnen lassen mich den Stadtteil erkennen. Ca. 6 Kilometer von zu Hause entfernt. Ohne Kohle. Nur Ich. Die Dosen. Eine Schachtel Kippen. Zwei Dosen Bier.

Ich erinnre mich an ein Waldstück im Stadtteil. Da haben wir früher oft gekifft. Warum waren wir hier? Hatten wir hier Freunde? Ich weiß es nicht.

Ich klettere auf einen Baum. Circa drei Meter. Dicke Äste. Stabile Äste. Die Bierdosen nehme ich aus dem Rucksack. Ab in die Hosentasche. Den Rucksack hänge ich fest auf. Hier dürfte ihn bis zum Herbst niemand entdecken. Dann sollte Gras über die Sache gewachsen sein.

Ich bin vom Baum. Ich fühle mich nackt. Ich fühle mich nicht komplett. Was soll es? Die Strafe für Vandalismus will ich nicht zahlen. Mit ernster Kunst gewinnt man keinen Blumentopf.

Aus dem Wald. Irgendwo in Wolfsburg. Ich öffne mir das Bier. Es schmeckt. Nach Stolz. Nach einem neuen Bild. Nach Erfolg. Es steigt mir zu Kopf. Ich gehe. In Richtung nach Hause.

Ein Taxi hält neben mir.

„Soll ich dich mitnehmen?“ will der Fahrer wissen.

„Nein,“ antworte ich. Ich habe keine Kohle dabei. Nur das Notwendigste. Dazu gehört kein Geld.

Er verschwindet in der Nacht. Es ist in der Woche. Er wird vergeblich nach einem Fahrgast suchen.

Ich nähere mich meinem Stadtteil. Sehe die Kirche. Den Turm. Die Uhr. Viertel vor Vier. Ich bin zwei Stunden über Plan. Meine Nachtruhe wird kürzer. Vielleicht mache ich blau? Spätschicht ist eh eine scheiß Schicht. So wie die Frühschicht. So wie die Nachtschicht. Arbeit fuckt mich ab. Aber von irgendetwas muss ich mir etwas zu fressen kaufen. Oder ein Dach über den Kopf. Eine Wohnung kann man nicht klauen. Oder doch? Zumindest nicht in dieser verdammten Stadt.

„Stehenbleiben,“ höre ich aus einem Lautsprecher hinter mir. Diesmal bleibe ich stehen. Es sind Bullen. Ich weiß es, ohne mich zu drehen.

Mein Herz schlägt etwas schneller. Dann fängt es sich wieder. Sie können mir nichts. Sie haben nichts. Ich habe nichts. Fickt euch.

Scheinwerferlicht erhellt den Weg vor mir. Eigentlich alles um mich herum. Ich drehe mich. Ich werde kurz geblendet. Erst vom Scheinwerfer des Streifenwagens. Dann von der Taschenlampe des Bullen.

„Was machen Sie?“ will ein Cop wissen. Es ist ein junger Bulle. Halb Maschine, halb Mensch. Fast 2 Köpfe größer als ich. Und jünger.

Neben ihm steht seine Kollegin. Hand an ihrer Waffe. Ihre blonden Haare und ihre sanften Augen täuschen. Sie würde mir ohne zu zögern in die Eier treten. Wer bei den Cops arbeitet, ist so drauf. Die hassen uns. Die verstehen nichts von Malen. Egal wie alt.  

„Spazieren,“ antworte ich.

„Spazieren? Um diese Uhrzeit?“ zweifelt der Bulle.

„Spazieren, um diese Uhrzeit. Mein Schlafrhythmus ist im Arsch. Drei Schichten. Kennt ihr,“ erkläre ich.

„Kennen wir wirklich,“ gibt die Bullin zu.

„Ausweis bitte,“ verlangt der Bulle.

„Nicht dabei.“

„Dann Name,“ verlangt die Bullin.

„Fabian Lamprecht.“

„Herr Lamprecht, zeigen sie uns mal ihre Hände,“ fordert die Bullin.

„Meine Hände?“ stelle ich mich doof.

„Hände her,“ wird der Bulle ungehalten.

Ich halte sie den beiden hin. Sie schauen sich meine Handflächen genau an. Suchen nach Farbresten. Nach Hinweisen. Auf den simplen Einfall mit den Gummihandschuhen kommen sie nicht. Sie halten mich für einen Anfänger.

„Andere Seite,“ verlangt der Bulle. Das Spiel beginnt vom neuen. Aber wieder nichts. Ich muss mir das Lachen verkneifen.

„Was haben sie da in Ihrer Hosentasche?“ wird die Bullin auf meine andere Dose Bier aufmerksam.

„Bier,“ antworte ich.

„Zeigen Sie,“ werde ich aufgefordert.

Ich hole die Dose heraus.

„Hilft nicht unbedingt bei Schlafstörungen,“ belehrt mich die Bullin.

Die beiden Cops schauen mich an. Sie wollen mich nicht gehen lassen. Sie hätten in mir gern den Täter. Würden vor ihren Kollegen angegeben. Sich auf die Schulter klopfen oder was auch immer Bullen dann machen. Aber sie haben nichts gegen mich in der Hand.

„Sie können weiter,“ sagt der Bulle.

Ich gehe weiter. Ich öffne das Bier. Es schmeckt nach mehr Erfolg. Eine fettes Bild gemalt, vor den Bullen abgehauen und jetzt auch noch Cops verarscht. Was für eine Nacht.

Ich stehe vor einem Betonklotz. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss. Ich schwebe in den vierten Stock empor.