1999
Reimemonster. Immer wieder. Afrob in Endlosschleife. Und dabei rappen. Ich will auch so einen weißen Pullover wie Ferris und Afrob.
„Geht das auch etwas leiser?“ ruft meiner Alter hoch zu meinem Zimmer im ausgebauten Dachboden. Das ist mehr Forderung als Frage. Ich drehe leiser. Nicht wegen dem. Wegen dem Taschengeld. Nicht, dass der mir das kürzen will.
Dann höre ich die Tür knallen. Der Alte ist weg. Warum macht der dann so einen Aufstand wegen der Mucke? Keine Ahnung. Unsere Kommunikation ist eh beschädigt.
Runter. In die Küche. Aus dem Wohnzimmer höre ich Stimmen. Meine Mama schaut irgendeine Talkshow. Da streiten sich welche. So richtig asozial. Ich schmiere mir nen Brot. Dann setze ich mich zu meiner Mutter.
„Hoffentlich kriegst du nicht mal so eine,“ meint meine Mama. Die verweist auf so eine Blonde in den Zwanzigern im Fernsehen. Darunter taucht gerade ein Text auf. Sabine 27, liebt Sex mit unterschiedlichen Männern.
Ich esse mein Brot. Im Fernsehen rastet gerade ein Kerl aus. Ein Freund von Sabine. Der weiß nichts von Sabines Vorlieben.
Es klingelt an der Haustür.
„Wird Lukas sein.“
„Wann bist du zu Hause?“
„Wird spät.“
„Aber denk dran, du bist noch keine 16. Also nicht zu lang und nicht zu viel Alkohol.“
„Natürlich. Kannst dich auf mich verlassen.“
Lukas raucht ne Zigarette vor unserem Haus. Der grinst als er mich sieht.
„Was ist?“ frag ich.
„Ihr seid so Happy-Family.“
Bei Lukas ist nichts heile Familie. Die schlagen sich da die Köpfe ein. Lukas wohnt mit drei jüngeren Geschwistern zusammen. Und seinen Eltern. Die saufen beide. Das Haus ist runtergekommen. Ein verwachsener Vorgarten. Vergilbte Gartenmöbel auf der Terrasse. Es ist akkurates Blumenbeet in der Richtung der Straße, was ihn grinsen lässt. Das ist es, was ihn glauben lässt, dass bei uns alles rund läuft. Macht es das? Keine Ahnung. Mama und Papa interessieren mich irgendwie nicht mehr. Und mein jüngerer Bruder zockt nur irgendwelche Ballerspiele am PC.
„Wo wollen wir hin?“
„Die sind alle am Kanal. Die baden. Sollen Döner mitbringen.“
„Hast du Kohle?“
„Ne, aber du.“
„Immer das Gleiche.“
„Dafür habe ich das.“
Lukas zeigt mir ein Päckchen Gras.
„Nice.“
Wir gehen zum Dönerladen. Erkan ist schnell. Im Eiltempo hat der 7 Taschen mit Fleisch fertig.
Mit zwei Plastiktüten machen wir uns auf zur Kanalbrücke.
Flamme hat da die Anlage seines Golf 2 aufgedreht. Die Massiven Töne laufen. Im Kofferraum schmorrt ne Palette Karlsquell. Flamme parkt direkt auf der Brücke. Hier kommt außer mal nem Trecker niemand vorbei. Donald und Krusty stehen auf dem Bogen. Die haben nur ne Badehose an. Krusty segelt runter.
„Donald steht da schon ne halbe Stunde,“ erklärt uns Flamme. Der drückt uns ein Karlsquell in die Hand.
„Habt ihr was zu rauchen?“
„Wo sind die Mädels?“ will Lukas wissen.
„Kommen gleich.“
Und da hören wir die schon von weitem lachen und kreischen.
Lukas baut Tüten. Die Mädels haben Sekt dabei. Und wir trinken Karlsquell. Donald ist jetzt auch von der Brücke gesprungen.
Lukas lässt ne Tüte kreisen. Ich habe Jenny in meinen Arm. Wir knutschen. Ich muss mich zusammenreißen. Sonst sitze ich mit ner Latte hier.
„Wo bleibt Dende? Wollte der nicht auch kommen?“
Flamme greift zu seinem Nokia. Der kann sich so eins leisten. Der verdient in der Ausbildung schon gut. Den habe ich mir auch zum Vorbild genommen. Da will ich auch in drei Jahren sein. So ein cooler Typ mit Auto und Handy.
„Ist dein Bruder da?“ fragt Flamme hinein.
„Was?“
„Das ist doch nicht wahr?“
Flamme ist ganz weiß. Der schaut uns an wie zehn Tage regen. Und dann wie jemand, der gerade erfahren hat, dass jemand gestorben ist. Und das hat der gerade auch.
„Dende hatte nen Unfall. Der ist tot. Hat mir gerade sein Bruder erzählt.“
2002
„Fahren Sie bitte rechts ran,“ sagt der Prüfer. Ich bin durchgefallen. Das zieht mir gerade den Boden unter den Füßen weg. Ich dachte, dass könne nur den Idioten und Freaks passieren. Und jetzt mir. Die werden mich auslachen. Ich kann den Jungs nie mehr unter die Augen treten. Wie peinlich. Und Jenny. Was wird Jenny denken?
Ich tausche den Platz mit meinem Fahrlehrer. Der baut mich nicht auf. Der schaut mich nur vorwurfsvoll an. Ich bin über ne durchgezogene Linie drüber. Deshalb jetzt das Ende nach 20 Minuten. Der Prüfer hinten sieht zufrieden aus. Wie so ein sadistisches Arschloch. Jetzt wünschte ich mir Titten und nen Augenaufschlag. Das würde den bestimmt umstimmen. So sieht der aus.
Aber fuck. Ich bin ein Kerl. Das interessiert den perversen nicht.
Wir fahren aufs TÜV-Gelände. Meine Mama sieht gleich, dass ich nicht hinter dem Steuer sitze. Ich sehe die Enttäuschung in ihrem Gesicht.
„Beim nächsten Mal,“ sagt der Prüfer.
„Ich melde mich wegen eines Termins,“ meint mein Fahrlehrer.
„Bis zum nächsten Mal,“ sage auch ich.
Meine Mama nimmt mich in den Arm. Sie erspart mir, dass ich ihr von meinem Scheitern erzähle. Sie fährt jetzt. So sollte es nicht sein.
Wir halten im ALDI. Ich hole mir da ne Palette Karlsquell. Mama zahlt.
„Aber ist nur ne Ausnahme.“
„Natürlich. Auch nicht, weil ich durchgefallen bin, sondern wegen Fußball heute.“
„Wo schaut ihr?“
„Bei mir, wenn das in Ordnung ist.“
Mama wirft mich zu Hause raus. Die hat noch was vor. Ich bin wegen der Prüfung von der Schule freigestellt. Da ist sonst auch keiner. Deshalb mach ich mir ein Bier auf. Ich kriege schon Nachfragen auf mein Nokia. Ich antworte nicht. Dann ruft Jenny an. Im Hintergrund höre ich Getöse und Gequatsche.
„Und?“
„Pause?“
„Ja, spann mich nicht auf die Folter.“
„Nein,“ sage ich. Und es fühlt sich an als würde ich irgendwo hinein fallen und fallen und fallen und fallen. Ich nehme nen Schluck Karlsquell. Das erdet mich.
„Verarsch mich nicht.“
„Mach ich nicht. Ich bin durchgefallen. Durchgezogene Linie.“
„Und da konnte der kein Auge zudrücken?“
„Ne.“
„Arschloch.“
„Ja.“
„Tut mir leid.“
„Mir erst.“
„Willst du mich sehen?“
„Schaue Fußball mit den Jungs.“
„Okay, aber wenn etwas ist, melde dich. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Ich liebe Jenny wirklich. So richtig. Ich kann mir ohne die kein Leben vorstellen. Ob wir mal heiraten?
Irgendwie penne ich auf dem Sofa ein. Dann klingelt es an der Tür.
Sind Krusty und Donald.
„Antwortest gar nicht,“ meint Krusty. In der Hand hat der nen Träger Bier.
„Wollten bei dir mitfahren und uns besaufen,“ fügt Donald an.
„Wird nichts.“
„Scheiße.“
„Ja, kommt rein. Habe ne Palette Karlsquell. Mir ist nach saufen.“
Und die beiden saufen mit mir.
Das spielt geht los.
„Wer geil, wenn wir Weltmeister werden würden.“
„Mit der Mannschaft?“
„Wir haben Kahn.“
Und der ist dann ganz unglücklich. Eigentor. Und wir liegen hinten.
„Gebrauchter Tag,“ meine ich.
Aber das Blatt wendet sich. Die holen auf. Die führen jetzt sogar 5 zu 1 und wir sind besoffen. Wir liegen uns in den Arm.
„Wir werden Weltmeister,“ prophezeien wir.
Krusty schaut auf sein Handy. Der hat ne SMS bekommen.
„Lukas schreibt. Die haben Flamme gefunden.“
„Und wo ist der abgeblieben? War ja nen Monat weg.“
„Die haben den aus dem Allersee gezogen.“
„Wollte der Schwimmen? Wieder drauf, was? Der braucht mal was von uns aufs Maul.“
„Dafür ist es zu spät. Der ist tot. Der hat sich tot gespritzt.“
2003
„Der hat es wieder nicht geschafft,“ meint Krusty am Handy.
„Dann steht uns ja ein toller Abend bevor,“ stelle ich fest.
Ich wollte eigentlich feiern. Nicht, weil mein Abi so geil war. Sondern weil ich erleichtern bin. Weil ich endlich mal was in der Tasche habe. Auch wenn es ein mieser Schnitt ist. Abi ist Abi und das kann mir jetzt keiner mehr nehmen. Darauf sollte das Bier fließen. Aber jetzt wird es mir schwer fallen.
„Und wie ist der drauf?“
„Hat sich gleich den Kopf wegeraucht. Wie das mit Alkohol wird, keinen Plan. Der pennt jetzt bestimmt.“
„Fuck.“
„Ja, fuck. Aber dich feiern wir trotzdem. Bis später,“ meint Krusty. Dann drückt der mich weg.
„Kommst du? Ist deine Party,“ ruft mein Vater.
Ich komme. Mama, mein Bruder und mein Vater sitzen schon im Auto.
„Oder willst du fahren?“ fragt mich mein Vater.
„Ne, dann bin ich den Lappen wieder los,“ verweise ich auf die fünf Bier, die ich nach der Ergebnisverkündung schon drinnen habe.
Meine Eltern laden mich zum Essen ein. Sind im Dorfkrug. Spargel satt. Bietet sich an. Die Omas und Opas sind auch da.
„Wir sind so stolz auf dich. Bist der erste in unserer Familie,“ meint eine Oma.
„Und jetzt? Was willste machen?“ fragt mich ein Opa.
Die Bedienung lässt mich nicht antworten müssen. Und ich weiß es auch gar nicht. Ich habe keinen Plan. Ich habe zwei Absagen bezüglich ner Ausbildung bekommen. Und mehr hab ich nicht geschrieben. Und ganz ehrlich, ich hab auch keinen Boch auf Arbeit. Also auf so ne Ausbildung. Ich werde mir wahrscheinlich nen Nebenjob suchen. Für so ein bisschen Kohle nebenher. Und dann werde ich studieren. Was? Keinen Plan. Und wie man sich da einschreibt? Weiß ich auch nicht. Wird schon irgendwer wissen.
Wir essen. Ich trinke Bier. Meine Opas prosten mir zu. Die sind wirklich stolz auf mich. Selbst mein Vater. Ist mir bei dem Schnitt schon fast peinlich.
Eine andere Familie kommt ins Restaurant. Es ist Jennys. Jenny ist auch dabei. Die sieht gut aus wie immer. Und ihr neuer Macker. Dieser Heiko. Arschloch. Die hat mich mit dem einfach betrogen. Und ich dachte, Jenny und ich wären für die Ewigkeit. Aber nichts hält für die Ewigkeit. Gar nichts. Die nickt mir zu. Ich nicke ihr zu. Schlimm genug, dass wir uns im Deutsch LK und Bio Grundkurs mehrmals die Woche sehen mussten. Das schmerzt immer noch.
„Was für ein Zufall,“ murmelt Mama.
Ich bestelle mir Bier. Das brauche ich jetzt.
„Wird die noch bereuen,“ meint eine Oma.
Ich betrinke mich ganz gut. Das lindert den Schmerz. Und wer weiß, was die Zukunft bringt. Vielleicht kommt Jenny zurück. Vielleicht lerne ich jemanden anderen kennen. Vielleicht bleibe ich auch allein.
Ich bestelle noch ein Bier. Ich bin gut besoffen. Wir zahlen. Und schnell bin ich zu Hause.
Curse rein. So Songs über Liebe. Über die Ex. Über Herzschmerz. Dazu Bier.
Dann steht Lukas in meinem Zimmer.
„Deine Mama hat mir auf gemacht,“ antwortet er auf mein verwirrtes Gesicht.
„Schon da?“
„Ich will nicht bleiben. Ich will nur sagen, dass ich nicht komme. Ist dein Tag und den würde ich nur versauen.“
„Verstehe.“
„Und danke für alles. Du bist echt ein Freund. Darfst du nicht vergessen,“ meint Lukas.
Der steht dann noch in meinem Zimmer. Schaut mich komisch an. Ich schaue komisch zurück. Ich kann mir denken, was der machen möchte. Das hat der immer erzählt. Der hat immer gesagt, dass es nur noch eine Alternative gibt, wenn er wieder durchfällt. Die wird der jetzt wählen. Und ich weiß, dass ich ihn nicht davon abhalten kann. Deshalb sage ich nichts. Da sind schon zu viele gegangen. Und Reisende soll man nicht aufhalten.