Dieser Druck

Da ist dieser Druck. Der sitzt so seitlich in der Brust. So ungewiss, ob vom Herzen oder so daneben.

Todesgefahr oder Verspannung? Die Frage, die mich die Nacht kostete. Die mir durch den Kopf schwirrte. Und dazu diese Gedanken. Diese Angst vor der Wahrheit.

Und jetzt bin ich wach. Oder musste aufstehen. Wegen dem Wecker. Oder besser: Wegen der Arbeit. Dabei fühle ich mich wie gegen die Wand geworfen. So nach mehr Bett. Und dieser Druck ist noch nicht weg.

„Wie hast du geschlafen?“ will Jill von mir wissen. Sie küsst mich. Sie fasst mir auf die Schulter.

„Nicht gut.“

„Warum?“

„Einfach nicht gut,“ antworte ich. Ich will sie ja nicht belasten. Die ist dann immer so besorgt. Und das macht mich noch mehr verrückt. Die würde vom Arzt sprechen oder schlimmer: Von zu viel Training. Ich will von beiden nichts hören.

Sie verschwindet im Bad. Da war ich schon. Ich ziehe mir Sachen aus dem Schrank und die dann an. Dann bin ich bereit für den Alltag. Und da klingelt auch schon das Telefon.

„Bei uns geht gar nichts,“ sagt mir ein Teamleiter.

„Wie?“

„Die Bänder stehen still.“

„Habt ihr entsprechend gemeldet?“

„Ja.“

„Okay. Ich bin gleich da.“

Ich werde in irgendwelche Online-Konferenzen eingeladen. Die heißen etwas mit Krise. Da reden viele. Ich schlurfe nebenher meinen Kaffee. Das Handy auf Lautsprecher. Noch ein Toastbrot.

„Denkst du an heute Abend?“ meint Jill.

„Ja,“ antworte ich. Ich habe keine Ahnung, an was ich denken soll.

„Ist wichtig.“

„Wann geht’s los?“

„Um 19 Uhr sollen wir in der Schule sein.“

Also etwas wegen der Kinder. Welches, finde ich dann raus, wenn wir da sind. Im Gedanken den Tag umstrukturiert. Im Hintergrund redet jemand über Maßnahmen. Dann einer von nem Testlauf. Worte wie funktioniert wieder und Fehleranalyse fallen.

Und ich bin im Verkehr. Montag. Da ist Krieg. Da will jeder irgendwohin. Und immer als erster. Und niemand ist so wirklich da. Alle sind noch in ihrem Leben. Niemand will zu dieser Arbeit.

Verschlimmertes Bild bei der Parkplatzsuche. Montags gibt es nie nen vernünftigen Abstellplatz. Ich quetsche mich zwischen zwei SUVs. Dann drücke ich mich raus. Das Krisenmeeting ist jetzt vorbei. Telefon klingelt auf dem Weg zum Werkstor.

„Die Produktion läuft wieder an,“ informiert mich ein Meister.

„War im Termin. Haben wir Scheiße gebaut?“

„Nein, waren die aus Halle 12b.“

„Zum Glück.“

Der Druck ist weg. Weil keine Zeit mehr darüber nachzudenken. Telefon. Meetings. Email. Zwischendurch Mitarbeiter, die etwas wollen. Nur mein Chef nervt nicht. Der ist im Urlaub und seine Vertretung will alles selbst regeln. Nicht mein Problem. Dann pünktlich Feierabend. Nur 45 Minuten länger als die Regelarbeitszeit.

Vorm McFit angehalten. Und rein da. Auf der Bank ist der Druck wieder da. Die 95 Kilo wollen nicht richtig hoch. Ich quäle mich. Ich merke wie es nicht weiter geht. Wie mich das fertig macht. Ich kämpfe gegen das Gewicht. Ich will das nach oben kriegen. Und geschafft. Und die nächste Wiederholung.

In meinem Kopf fällt mir die Stange mit den Gewichten schon auf den Schädel. Die wird schwerer. Die will wirklich auf meinen Kopf knallen. Das kann übel enden. So mit nem deformierten Schädel. Nicht schön. Schon solche Bilder im Netz gesehen.

Dann wird’s ganz leicht. Es knallt vertraut. Die Hantel ist in der Halterung. Mir hat jemand geholfen.

„Danke… Wäre.. nicht…nötig gewesen,“ stöhne ich dem Typen entgegen.

„Habe ich gesehen. Man sollte nicht allein trainieren,“ sagt der.

„Bist doch selbst allein.“

„Jetzt nicht mehr. Ich bin Max.“

„Nils.“

Ich lasse ihn ran. Der drückt stabile 110 Kilo. Ich unterstütze ihn. Ich rede ihm gut zu. Dann wechseln wir wieder. Der motiviert mich. Aber über die 95 komme ich heute nicht.

„Was machst du sonst so?“ will ich wissen.

„Leben. Nur leben.“

Sein Geheimnis

Der sitzt dort wie so ein erleuchteter Buddha. Vielleicht ist er das auch. Habe noch nicht über Religion mit ihm gesprochen. Sowieso sprechen wir gar nicht so viel. Wir unternehmen. Natürlich Sport. Habe mir ein Gravel-Bike geholt. Damit machen Max und ich Kilometer. Einfach fahren. Nicht reden. Nicht denken. Nur nach vorne. Tut gut.

Aber heute hat er mich mit zum Yoga genommen. Bei so einer Spirituellen. Xenia. Xenias Yoga Höhle. Und da sitze ich zwischen Muttis, Mädels mit Dreds und so dünnen Schnöseln. Und natürlich Max mit seinem definierten Körper. Ein 40jähriger Spartiat.

Und ich. Von allem etwas. Etwas Brust, etwas Bauchfett. Etwas gutes Aussehen, etwas Hässliches. Ich, der Unfertige.

Alle schließen die Augen und die atmen jetzt tief. Die meditieren zum herunterkommen. Ich schaue mir die an. Die wirken so zufrieden. Die Xenia öffnet die Augen. Die sieht mich an. Die lächelt dann. Wie zu so einem dummen Kind. Schnell schließe ich meine Augen. Schwarz. Unendliches schwarz gepaart mit gähnender Langeweile. Kann mich nicht konzentrieren. Öffne wieder die Augen und halte nach einer Uhr an der Wand Ausschau. Fehlanzeige. Auch an den Handgelenke der anderen Teilnehmer nichts. Die vermessen sich nicht. Die haben keinen Bedarf an einer Smartwatch. Und meine ist in meiner Tasche. Die misst dort nicht mich.

Dann machen wir ein paar Übungen. Xenia erwähnt da immer so ein paar Tiere. Mir gelingt nichts. Ich kippe um. Bin aus der Puste. Spüre Schmerzen. Immer wieder. Ein Stunde Folter. Dann noch einmal meditieren. Wieder diese gähnende Langeweile. So muss Guantanamo sein. Ein Gong erlöst mich.

„Wie hat es dir gefallen?“ will Xenia von mir wissen.

„Hatte ich unterschätzt,“ meine ich.

„Das machen alle,“ sagt sie. Sie lächelt mich wieder an wie einen Jungen. Dann wendet sie sich Max zu. Den schaut sie anders an. Den berührt sie. Den begafft sie.

„Läuft da was?“ will ich von Max wissen als wir in meinem Wagen sitzen.

„Ja.“

„Und wie ist so eine Yoga-Tante?“

„Gut,“ antwortet Max. Er ist noch entspannter als sonst.

„Wie machst du das nur?“

„Was? Mit einer Frau schlafen?“
„Wie wirkt das alles bei dir so verdammt einfach?“

„Loslassen. Du musst alles loslassen,“ meint Max. Ich fahre ihn vor seine Wohnung. Wir verabreden uns für Samstag zum Gravel-Bike fahren.

Loslassen, einfach gesagt. Der hat keine Familie. Der ist selbstständig als irgendein Berater unterwegs. Der ist nur sich selbst verantwortlich. Keine Frau. Keine Kinder. Kein Hauskredit. Keine Mitarbeiter. Nur Max. Da ist loslassen einfach. Oder meint er mit loslassen, dass man erst alles aufgeben muss?

Vor meiner Haustür. Die Brust drückt wieder. Herzinfarkt? Übertraining? Oder doch Abneigung?

„Papa, Papa, da bist du ja endlich. Jona ärgert mich,“ meint Elisa.

„Stimmt gar nicht. Elisa stinkt.“

„Du stinkst.“

„Nein, du!“

„So geht das schon den ganzen Tag,“ erklärt Jill. Einen Kuss bekomme ich nicht. Die verschwindet in der Küche.

„Wie war dein Tag?“ will ich von ihr wissen. Die Kinder streiten sich weiter im Hintergrund.

„Kinder. Putzen. Einkaufen,“ schleudert sie mir entgegen.

„Und deiner?“ fragt sie.

„Ich war mit Max beim Yoga.“

„Dafür möchte ich auch mal Zeit haben,“ wirft sie mir vor als würde ich nicht für die Familie da sein.

Ich lasse das kommentarlos stehen. Ich gehe ins Ankleidezimmer. Ich ziehe mich aus und dann husche ich unter die Dusche. Und da wird er wieder stärker. Der Druck. Der ist auf der ganzen Seite. Der ist im Kopf. Der ist im ganzen Körper. Alles wehrt sich gegen die jetzige Situation. Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Ich muss das ändern. Ich muss loslassen. Aber wie?

Jemand öffnet die Tür zum Badezimmer.

„Mama sagt, du sollst dich beeilen. Das Essen wird schon kalt,“ meint Jona.

Immer diese Stress. Immer dieses reagieren. Immer dieses Hören-Müssen. 

„Mama hat gesagt…“

„Ich habe ja gehört. Ich beeile mich.“

Jona lässt mich allein. Ich trockne mich ab. Wenn ich alles so schnell loswerden könnte wie das Wasser.

Alle gleich, alle

Das brennt alles. Ist so als würde mir meine Wade explodieren. Jeder Tritt in die Pedale erzeugt Schmerzen. Warum habe ich mich darauf eingelassen? Wem will ich etwas beweisen? Überhaupt, dieser ganze Sport-Quatsch. Was hat der mir gebracht? Keine Muskeln. Keine Ausdauer. Kein Ausgleich. Meine Flucht vor dem Alltag. Deshalb Fitnessstudio. Deshalb Gewichte. Wann bin ich da mal über mich hinaus?

Vielleicht hätte ich mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen sollen, statt Eisen in die Luft zu stemmen. Dann würden die nicht so durchdrehen. Dann könnte ich die besser beruhigen. Oder mehr Zeit mit Jill. Die würde mich vielleicht nicht so nerven.

Aber wahrscheinlich wäre alles nur noch schlimmer. Mir würde das alles nur noch mehr auf den Sack gehen.

Und auch das hier. Ich bin nicht fürs Fahrradfahren geboren. Ich keuche. Und dabei bin ich nicht einmal besonders schnell. Max sieht da anders aus. Der ist so durchtrainiert. Der ist so auf den Punkt. Und so gelassen. Dem stört das nicht, dass ich ihn blockiere. Der fährt lässig den Brocken hoch als wäre es das Natürlichste der Welt.

Endlich hält Max seine Hand heraus. Der biegt auf nen Parkplatz ein.

„Das macht mich fertig,“ stöhne ich. Ich ziehe eine Flasche Wasser heraus. Und ich trinke. Das tut so gut.

„Runter geht’s einfacher. Runter wird’s immer einfacher.“

„Wenn es nur schon runter gehen würde.“

„Es geht immer runter.“

Max redet nicht viel. Der wirkt irgendwie anders. So weit weg. Vielleicht bin ich ihm doch eine Last. Für ihn ist die Brockenfahrt ein jährliches Event. Da hat er mir sogar von seinen Rekorden erzählt. Mit mir ist er von ner neuen Bestzeit weit entfernt. Könnte natürlich auch an ihm nagen. Wäre nur menschlich.

Wir fahren weiter. Und das ist nicht menschlich. Das ist Folter. Ich bin ein Masochist. Ich quäle mich. Ich sollte mal mit Jill reden. Vielleicht kann die mich auspeitschen. Vielleicht bringt uns so etwas enger zusammen. Ist besser als das hier.

Der letzte Anstieg kommt mir vor wie ne Ewigkeit. Phasenweise wünsche ich mir ne Herzinfarkt. Aber dann sind wir oben. Die Aussicht ist Klasse. So viel Weite. Aber auch so viele tote Bäume. Wie nach ner Atombombe. Alles kahl.

„Furchtbar,“ meine ich.

Max sieht noch ernster aus. Weint der gerade?

„Alles gut?“ will ich wissen.

„Lass uns runter.“

Und der schmeißt sich wieder aufs Rad.

„Warte mal,“ sage ich. Aber Max hört schon nicht mehr. Der rollt. Und der wird immer schneller. Hat der ne Macke?

Und dann ist da diese Leitplanke. Max rollt direkt drauf zu. Der macht keine Anstalten, die Kurve zu nehmen. Der will direkt auf die Leitplanke zu.

„Max, bremsen!“

Aber Max bremst nicht. Max knallt mit seinem Rad genau gegen das Metall. Dann segelt er darüber. Dann ist Max verschwunden. Vor der Leitplanke liegt sein zerbeultes Fahrrad. 

Fuck, was hat den geritten? Ich stelle mein Rad ab. Ich gehe vorsichtig zur Leitplanke. Ich schaue dahinter. Da ist ne Böschung. Die geht Steil herunter. Und da liegt Max. Circa drei Meter unter mir.

„Max?“

„Max?“ wiederhole ich. Mein Herz rast.

Dann höre ich ihn Wimmern. So richtig heulen. So richtig verzweifelt. Was mache ich jetzt?

Ich klettere die Böschung herunter zu Max. Alles rutscht herunter. Dann bin ich bei ihm. Der hat Schürfwunden. Sieht aber sonst gut aus.

„Was sollte denn der Scheiß?“

Max setzt sich vorsichtig. Der schaut kurz in die Ferne. Dann in die Tiefe. Jetzt weiß ich, was der Scheiß sollte.

„Aber du hast doch alles. Du bist frei.“

„Das macht mich alles fertig. Ich weiß nicht, wer ich bin.“

„Aber so geht’s doch uns allen. Wir wissen alle nicht, wer wir sind.“

Max weint jetzt. Ich ziehe ihn hoch. Wir stehen an der steilen Böschung. Dann klettern wir hinauf. Max vorweg.

„Damit mache ich keinen Meter mehr,“ bewertet Max sein Fahrrad.

Ich halte nen Lieferwagen an. Da können wir unsere Räder hinten reinstellen. Wir steigen vorne zum Fahrer.

„Vergessen zu bremsen?“ fragt der.

„Ja,“ antwortet Max. Der hat sich jetzt wieder gefangen. Der heult nicht mehr.

Ich sehe nach draußen. Sehe die sterbende Landschaft. Die zerfressenen Bäume. Die sind alle gleich zerfressen. Wie wir. Egal, was wir unternehmen.