Gefahrenzulage
Ständig dieses Gekratze. Als würde jemand eine dicke Palette über den Asphalt ziehen. Machen die ja auch. Die renovieren ihre Hütte direkt nebenan. Dabei so rücksichtslos. Die lassen das richtig raushängen, dass die ein Eigenheim haben. Soll jeder hören und sehen. Und dann sind die dabei so freudig. Die schauen einen grenzdebil an, während sie Steine verlegen oder umgraben oder nen Zaun aufstellen. Die nerven mit ihrer guten Laune. Mit ihrer Uns-Gehört-Das Einstellung. Mit ihrer Do-It-Yourself-Mentalität.
Ich habe keine Power-Partnerin, mit der ich ne Hütte baue. Ich habe keine Kohle für nen Eigenheim. Ich habe keine Ahnung von Handwerk. Ich habe hier mein Gras, das ich zerbrösele. Mehr nicht. Bin ich unglücklich? Nein. Lass ich es raushängen, dass ich zufrieden bin? Nein. Warum auch.
Ich gehe vom Balkon meiner Wohnung ins Wohnzimmer. Dann muss ich den Scheiß nicht mehr ertragen. Und die beiden werden nicht die Letzten sein. Das ganze Feld hinter unserem Block haben die als Neubaugebiet ausgewiesen. Da kommen hunderte von diesen gutgelaunten jungen Paaren und nisten sich ein. Kotze.
Die frische Tüte kommt in meine Kippenschachtel. Die Belohnung nach meiner Arbeit. Noch schnell ein paar Bifis in den Rucksack. Dazu ne Flasche Coke und dann geht’s ab.
„Moin,“ meint der Busfahrer. Der findet das geil. Sagt der immer. Als wären wir im Norden. Ich halte es wie ein echter Niedersachse: Stumm.
Neben so einer Oma ist noch ein Platz frei. Ich will das eigentlich gar nicht. Aber die will das noch viel weniger. Deshalb setze ich mich direkt neben die. Natürlich mache ich meine Beine schön breit, sodass mein rechtes Bein ihr linkes Bein leicht berührt. Die findet das scheiße und ich ihr schlechtes Parfüm. Wir gehen uns beide auf den Sack.
Vorm Werksgelände hält der Bus. Mit mir steigen noch ein paar andere Verlierer aus. Spätschicht ist die größte Bullshitschicht. Nichts vom Tag. Nichts vom Leben. Das zieht einen herunter wie Gravitation. Auch die Kollegen und ich haben uns nicht viel zu sagen. Jeder schleicht in seinem Thema zum Werkseingang. Dabei raucht jeder seine Marke Kippen. Und ja, es gibt uns noch. Auf dem Weg zur Arbeit können wir Raucher uns zu erkennen geben.
„Pascal, du siehst wieder richtig scheiße aus,“ begrüßt mich ein Kollege.
„Musste neben deiner Mutter aufwachen.“
„Du bist also der Perverse, der auf dem Friedhof rumbuddelt.“
„Jap, das flutscht so schön.“
Wir lachen. Nicht nur Thorsten, sondern auch die anderen in der Umkleide. Außer Humor haben wir hier nichts. Etwas tutet. Zeichen zum Schichtwechsel. Wir gehen an unsere Plätze. Kette. Teile montieren. Immer die gleichen vier Handgriffe. 8 Stunden. Dazwischen mal Pausen. Dabei immer die gleichen Gespräche. Und die gleiche Musik. Meine Linie dröhnt gerne Ballermann-Hits über die Lautsprecher. Da denkt jeder an seine schönen Momente. Besoffen irgendwo. Unsere Highlights.
„Pascal, komm mal,“ meint mein Meister in der Kurzpause. Ich ziehe noch schnell an meiner Kippe. Dann folge ich ihm ins Meisterbüro.
„Hast du Lust auf nen Tapetenwechsel?“ fragt der dann. In seinem Büro hockt einer in Hemd. Konnte der Unterabteilungsleiter sein. Kein Plan. Der stellt sich mir nicht vor.
„Tapetenwechsel?“
„Ja, mal was anderes als das hier. Andere Leute und so.“
„Kommt drauf an.“
„Auf was?“
„Auf das wo und wie und was ich kriege.“
„Presswerk. Gibt nen Gefahrenzulage. Wir brauchen da Leute. Dringend,“ meint der Unterabteilungsleiter.
„Was heißt dringend?“
„Noch heute.“
„Okay, was heißt Gefahrenzulage?“
Die nennen mir ne Zahl. Die klingt ausreichend. Ich sage zu. Die wollen alles Offizielle sofort in die Wege leiten.
Mich holt jemand ab. Mit so nem kleinen Wagen. Hinten ne Ladefläche und vorn in der Kabine gerade mal zwei Plätze. Ich quetsche mich zu dem.
„Bist also der Neue,“ meint der und fährt los.
Ich nicke.
„Und womit haben die dich gelockt?“
„Gefahrenzulage.“
„Gefahrenzulage. Was haben die dir denn erzählt?“
„Presswerk.“
„Presswerk. Ist laut und gefährlich.“
„Gefährlich,“ wiederhole ich.
„Ja, deshalb suchen die da. Jetzt hat es einen richtig erwischt. So ein Pole. Konnte kein Deutsch. Hat das alles auf die leichte Schulter genommen. Und jetzt ist der platt. Mausetot und platt wie ein Plattfisch.“
Ich würde jetzt schon gern die Tüte für nach der Arbeit rauchen. War vielleicht die falsche Entscheidung. Aber verdammt, es gibt ne Gefahrenzulage.
Anderer Schichtrhythmus
Von Gefahr keine Spur. Eher die Langeweile gepaart mit mehr Krach. Gegen das Knallen der Pressen kommt keine Anlage an. Bei der Montage konnten wir Mucke hören. Ist hier nicht möglich. Hier brauche ich Ohrenschutz. Wir kommunizieren schreiend.
Die Teile kommen aus der Presse. Wir kontrollieren. Das meiste machen die Roboter. Die drehen. Die arbeiten nach. Eigentlich braucht man uns kaum. Ich fahre gepresste Teile von A nach B. Immer im Takt. Bald soll ich bei der Instandhaltung unterstützen. Dabei sind schon welche umgekommen. Deshalb die Gefahrenzulage. So ein Roboter entwickelt manchmal ein Eigenleben. Dann greift der auch nach Menschen. Hält die auch für Blech.
„Das Frischfleisch,“ begrüßen die mich im Pausenraum. Die lachen alle.
„Danke. Was Frisches habt ihr ja gebraucht. Seht alle aus wie Gammelfleisch,“ mache ich einen Witz.
„Pass mal auf. Du kriegst gleich eine,“ entgegnet mir ein Alter. Der Witz kam nicht an.
„Versteht ihr hier keinen Spaß?“
„Wir sind hier keine Spaßvögel. Scherzkekse und Klugscheißer mögen wir hier nicht. Bist doch keiner, oder?“ fragt mich ein anderer und schaut mich bedrohlich an.
„Ich bin schlau und lustig,“ meine ich nicht ernst.
„Am besten hältst du erstmal die Fresse bis du weißt, wie hier der Hase läuft. Dann brauchen wir dich ein Jahr nicht zu hören,“ meint ein anderer.
„Mindestens,“ fügt einer hinzu. Die lachen. Ich bin sprachlos. Was sind das hier für Ulknudeln?
Dann geht’s wieder an die Arbeit. Ich soll nicht mehr fahren. Ich soll mit, so nen Roboter warten. Der Kollege sieht auch maximal angepisst aus. Der kommandiert mich.
„Geht’s auch in einem anderen Ton?“ beschwere ich mich.
„Willst doch leben, oder? Deshalb bestimme ich.“
Hier ist Diskussion zwecklos. Vielleicht sollte ich zum Betriebsrat?
Scheißdrauf. Ist Freitag. In zwei Stunden ist Wochenende.
Und dann ist auch Feierabend. In der Umkleide quatschen die alle untereinander. Keiner mit mir. Sind Fucker. Alle auch etwas älter als ich. Auf die habe ich keinen Bock. Aber auf die Gefahrenzulage.
„Nächste Woche wäschst du dich mal ordentlich vor der Arbeit. Du stinkst nämlich. Kapiert?“ ruft mir einer hinterher.
Ich schüttle nur mit dem Kopf.
Ich bin nicht lang zu Hause. Ich mache mich schnell fertig. Dann ziehe ich in die Stadt. Ab ins Pub. Das Guinness fließt. Da treffe ich mich mit zwei Kollegen von der Montage.
„Und wie ist es?“
„Der letzte Scheiß. Das sind alles Arschlöcher.“
„Sind wir das nicht alle?“
„Nicht solche Wichser,“ meine ich und trinke das nächste Guinness. Über Arbeit verliere ich heute kein Wort mehr.
Wir haben schon einen sitzen. Wir ziehen weiter. Sind jetzt in einer Bar, wo Schlager läuft. Die ganz üblen Ballermann-Hits. Alle sind besoffen. Alle sind am Tanzen.
„Und du so?“ quatsche ich eine an, die gerade allein neben der Tanzfläche steht.
„Was ist denn das für Spruch? Kannst du dir keine Mühe geben?“
„Siehst aus, als würdest du das lächerlich finden.“
„Finde ich auch.“
„Ich bin Pascal.“
„Nora.“
„Was trinken?“
„Aber nicht hier. Hier ist es zu laut.“
Ich gehe mit ihr vor die Tür. Wir drehen uns um. Wir gehen in ein kleines Ding zwei Gebäude weiter. Da wird nur leise Musik im Hintergrund gespielt.
„Erzähl mal über dich?“ fordert sie, nach dem wir uns jeweils einen Cocktail bestellt haben.
Ich erzähle das Wenige, was es zu erzählen gibt.
„Wie bei mir, nur in einer anderen Schicht.“
„Das wir uns nie über den Weg gelaufen sind.“
„Anderer Schichtrhythmus.“
Alles klasse
Die quatschen wieder Scheiße. Über mich. Die lachen. Aber egal. Ich habe die Kopfhörer auf. Mich trifft das nicht. Ich genieße die Pause. Ich scrolle durch das Smartphone. Sehenswürdigkeiten. Breslau. Nora will da unbedingt hin. Nen Kurztrip am Wochenende. Es ist Mai und die Stadt sei im Frühling so schön. Und gar nicht weit weg.
Breslau kam mir nie in den Sinn. Irgendwie sind da meine Großeltern her. Hat Papa mal erwähnt. Aber der ist tot und meine Großeltern schon immer. Die habe ich nie kennengelernt. Wusste auch bis Nora gar nicht, dass die mal deutsch war. Dachte, wäre schon immer Polen. Irgendetwas mit dem zweiten Weltkrieg. Mit Hitler. Was weiß ich.
Ich war noch nie auf nem Städtetrip. Ich war auch nie ein Wochenende mal weg. Außer Amsterdam. Und das mit den Jungs wegen des Gras. Mit Nora ist alles anders. Mit Nora hat das hier Zukunft. Also nicht dieses verfluchte Presswerk mit den Arschgeigen. Das Leben hat Zukunft. Das sehe ich ganz klar vor mir. Und das lasse ich mir von den Fuckern nicht verbieten.
Ich öffne die Tupperware. Nora hat gekocht. So Hähnchen in einer cremigen Sauce. Dazu Reis. Die kann so gut kochen. Ich genieße das, mit ihr zusammen zu wohnen. Wie konnte ich die Jahre davor nur so verwahrlosen?
Einer von den Pennern kommt auf mich zu. Der zieht mir den Kopfhörer aus dem Ohr.
„Na, hat dein schwuler Freund dir was gekocht. Oder doch Mami?“
Alle lachen.
Der zieht Rotze in seinen Mund. Der droht mir ins Essen zu spucken.
„Würde ich mir zweimal überlegen,“ warne ich.
„Sonst was?“
„Sonst knallt es.“
„Mach nur, dann landest du auf der Straße. Die schmeißen dich raus. Hier,“ meint der und hält mir seine Wange hin.
Ich stecke mir wieder den Kopfhörer rein. Ich drehe die Mucke auf. Der zeigt mir seinen Mittelfinger und verschwindet.
Nach 15 Minuten geht die Arbeit weiter. Mit dem einen repariere ich etwas an nem Roboter. Wir müssen Schrauben lösen. Der lässt mich natürlich ran. Er sagt, er hätte sich am Arm verletzt. Beim Trainieren. Wer es glaubt. Ich kriege die Schraube nicht ab.
„Ich brauche anderes Werkzeug,“ fordere ich.
„Nichts im Flügel oder was?“ entgegnet der mir.
„Dann mach du doch.“
„Wie gesagt, geht heute nicht oder soll ich die mit den Zähnen rausziehen.“
„Dann lass die Sprüche.“
Ich versuche es weiter. Aber keinen Zentimeter.
„Wolle, komm du mal. Unsere Kleine hat nichts drauf,“ brüllt der eine. Dieser Wolle kommt. Der nervt mich am meisten.
„Was man uns so nen zarten Hasen schickt. Solltest lieber ins Büro oder dir nen Reichen schnappen,“ meint Wolle.
„Der ist keine Frau, der ist nur ein hässlicher Typ,“ meint der andere und lacht. Die lachen beide.
„Auf jeden Fall hässlich.“
Von weiten sehe ich Nora. Die kommt direkt auf uns zu. Sie sieht selbst in ihrer Latzhose blendet aus.
„Was machst du denn hier?“ frage ich als sie bei uns steht.
„Fange ne Stunde früher an. Da wollte ich mal sehen, was du so treibst,“ antwortet sie.
„Nichts treibt der. Ist ein Taugenichts,“ sagt der andere dann.
In mir brodelt es.
„Schau dich mal an, beim Wichsen hast du dir die Hand verstaucht. Oder biste nen Faulenzer,“ kontere ich.
„Warte mal,“ meint der und stellt sich vor mich.
„Nur weil deine Freundin da ist, brauchts du jetzt keine Fresse haben,“ mischt auch Wolle mit.
„Mit dir hat niemand geredet,“ verweise ich Wolle.
„Das werden wir ja noch sehen. Erst vermöbele ich dich und dann vernasche ich deine Süße. Kleine, wie heißte denn überhaupt. Hast mal Lust auf den richtigen Pullermann und nicht auf so nen Zwerg?“
Mir reicht es. Ich schnappe mir die Zange. Die ziehe ich Wolle über. Dann schlage ich auf den Schädel ein.
Nora schreit. Der andere schreit. Wolle ist stumm. Ich höre nicht auf.