Alle haben Wut

Und der Schnaps fließt. Tequila. Ist so zeitlos. Und durch die Zitrone noch ein paar Vitamine.

„Ich wette, in Mexiko lachen die uns aus wegen diesem Salz und der Zitrone,“ meint Jan.

„Ich war noch nie in Mexiko,“ füge ich an.

„Ich auch nicht.“

Wir lachen beide. Wir wissen, dass wir Mexiko nie sehen werden. Wir haben beide keine Kohle. Und wenn wir Moneten haben, versaufen wir die gleich. Und heute haben wir welche. Es ist Samstag. Es ist Monatsanfang. Wir wollen den Tiger rauslassen.

„Ey, und der Schwanzlutscher kommandiert nur rum und dann schickt der uns zum nächsten Schwanzlutscher. Alles Schwanzlutscher. Deshalb mach ich auch keinen eigenen Laden auf. Da kommen wieder nur Schwanzlutscher,“ mault Jan.

„Was hast du heute mit deinem Schwanzlutscher?“

„Willst du mich jetzt auch noch anpissen?“

Jan ist sauer. Ist der meistens. In der Regel ist er Samstags aber ruhiger. Da ist der ausgeschlafen. Nur heute nicht. Der hat bei irgendjemanden die Wände gestrichen. Schwarz natürlich. Jetzt hat der mehr Geld, aber nicht ausgeschlafen. Schlägt auf seine Laune.

Ich schenke uns noch den letzten Rest ein. Die Flasche war vor zwei Stunden noch fast voll. Saufen können wir. Anderes nicht.

„Ich könnte mal wieder ficken.“

„Und ich erst,“ wirft Jan ein. Dann rammelt er in die Luft. Er lacht.

„Dachte immer, dass man als Single immer Sex hat,“ werde ich melancholisch.

„Dann musst du alles knallen, was dir vor die Flinte läuft. Musst so einer sein wie Abdi,“ erklärt Jan.

„Ne, lass mal. Möchte gar nicht wissen, was sich der schon eingefangen hat.“

Wir sind traurige Gestalten. Wir sind um die dreißig. Haben keine Familie. Beschissene Jobs. Ich hasse die Gedanken. Ich mach mir ein Bier auf.

„Für den Weg,“ erkläre ich.

„Für den Weg,“ meint auch Jan und nimmt sich auch eins.

Wir gehen die paar Meter auf die Meile. Da ist so ein Dutzend an Bars und kleinen Clubs nebeneinander. Nicht sehr geil, weil unsere Stadt nicht sehr geil ist. Ist nicht Berlin oder Hamburg. Nicht mal Hannover. Wir sind irgendwie das Abbild unserer Stadt. Die Stadt und wir sehen uns gegenseitig beim Sterben zu.

„Ist wieder Salami-Party,“ spielt Jan auf den Frauenüberschuss an.

„Ist es das nicht immer?“

„Vielleicht sollten wir wirklich mal woanders hin.“

„Kostet.“

Dann kommt so ein großer Kerl auf uns zu. Ist Abdi. Der umarmt uns.

„Kommt, wir sind drin. Da sind auch Weiber. Gefallen euch,“ meint der. Der will mit uns in den Strohhalm. Da gefällt mir eigentlich nichts. Außer die kleine Bedienung mit den schlechten Tattoos. Die habe ich schon mehrfach angesprochen. Immer lässt die mich abblitzen. Irgendwann kriege ich die rum. Irgendwann hat jeder nen schwachen Augenblick. Und dieses „My Body My Rule“- Tattoo in ihrem Nacken macht mich verrückt. Zuckt jetzt schon durch meinen ganzen Körper.

Aber die ist heute nicht da. Oder noch nicht. Abdi steht da. Zwei weitere Kumpels grölen uns zu. Da sind auch noch Frauen. Die gefallen mir nicht. Ist Abdis Krankenweite. So richtig Resterampe. So wie wir.

Eine von denen kommt zu mir. Die riecht nach Rauch.

„Willst du nen Schluck von meinem Bier?“ fragt die. Dann saugt die am Flaschenhals. Soll mich geil machen. Bewirkt das Gegenteil.

„Ne, lass mal.“

Ich bestell mir was am Tresen. Ich erkundige mich nach der mit den schlechten Tattoos.

„Becca hat heute frei.“

„Schade.“

Die Bedienung schaut mich mitleidig an. Die weiß, dass ich auf Becca stehe. Die weiß auch, dass ich bei Becca nicht landen kann. Vielleicht lässt sich Becca an ihrem freien Tag ja von ihrem Macker bumsen.

Mit dem Rum Cola will ich wieder zu den anderen. Da sind jetzt noch mehr. Die sehen aber nicht so aus, als würde die jemand von uns auch kennen. Die fangen an zu schubsen.

„Lass die mal. Die gehören zu uns,“ meint Jan.

„Können die doch selbst entscheiden,“ meint jemand zurück. Recht hat der.

„Fick dich,“ wirft dem Jan entgegen. Dann stößt er den um. Und schon geht’s los. Ich stell meine Mischung ab. Ich greife mir einen, den ich nicht kenne. Der kriegt gleich eine. Und wir schlagen alle um uns. So richtig viel Blut. So viel Wut. Die und wir. Wir haben alle diesen Zorn in uns. Und dann drückt sich etwas in meine Seite. Das zieht so und sticht. Und es wird wieder rausgezogen. Und es wiederholt sich. Und ich fasse da hin. Und da läuft es aus mir raus. Und ich schaue da an meine Seite. Und da ist Blut. Und ich sacke zusammen.

Scheiß Licht

„Scheiße, scheiße, scheiße. Bruder, scheiße,“ höre ich Abdi.

Ich öffne die Augen. Da sind irgendwelche Menschen. Die fummeln an mir rum. Und ich fühle mich so duselig. So als hätte ich zu viel gesoffen. Habe ich bestimmt auch. Haben ganz schön reingehauen. Aber das fühlt sich anders an als sonst. Das fühlt sich an wie 6 Flaschen Rum ohne irgendetwas.

Und dann ist da dieser Schmerz. Das sticht richtig.

„Bruder, du musst leben. Gehe da nicht ins Licht. Gucke da nicht ins Licht,“ murmelt Abdi.

Ich sehe Licht. Das ist aber nicht übersinnlich. Und das sieht nicht nach Himmel oder Erlösung aus. Ist das grelle Licht im Innenraum des Krankenwagens. Das blendet mich. Das scheint auf mich als wäre ich der Hauptdarsteller eines Musicals.

Abdi murmelt etwas in einer fremden Sprache. Klingt wie ein Gebet. Ich will zu ihm sagen, dass er die Fresse halten soll. Der ist doch alles andere als gläubig. Und ich sowieso. Bin vor 7 Jahren aus der Kirche raus. Hab dadurch so viel gespart. War meine klügste Investition jemals.

Aber ich kann irgendwie nicht sprechen. Ich spüre wie meine Lippen Buchstaben formen. Aber da kommt nichts raus. Als wäre ich leer von Worten. Als wäre da nichts drin. Aber ich denke ja. Also ist da was. Also muss da irgendetwas blockieren. Ich versuche es mit dem A B C. Aber nichts kommt. Ich bin sprachlos.

Das rattert ganz schön. Der Fahrer haut richtig aufs Gaspedal. Ich krieg langsam wirklich Schiss. Die fahren doch nur schnell, wenn es um Leben und Tod geht. Und warum haben die überhaupt Abdi hier reingelassen? Der ist doch kein Angehöriger. Fuck. Ich habe Schiss. So das erste Mal in meinem verfickten Leben. Und ich denke an Mama. Wie die sich so fühlen wird. Scheiße, für die wird ne Welt zusammenbrechen. Und für den Alten auch. Nicht wegen mir, sondern weil Mama dann so fertig ist. Das wird den Alten stressen.

Und meine Schwester. Die wird das meinen Nichten erklären müssen. Die werden heulen. Ich bin doch ihr cooler Onkel. Fuck. Ich will nicht sterben. Fuck.

Die bremsen stark. Dann wieder lautes Gerede. Irgendjemand sagt etwas zu mir. Ich kann nicht antworten. Ich kann den Inhalt nicht verstehen. Die ziehen mich aus dem Krankenwagen. Die rollen mich auf einer Liege. Dann bin ich irgendwo. Und dann bin ich weg. So richtig. Da wo alles schwarz ist.

„Fuck!“ rufe ich.

Und da ist nicht mehr schwarz. Da ist jetzt alles so gelblich weiß. Also die Wände. So ne richtig hässliche Farbe. Und ich weiß, wo ich bin. Weil ich vor nem halben Jahr Oma hier besucht habe. Kurz bevor sie gestorben ist. Ich bin nicht tot. Ich bin im Krankenhaus.

„Alter!“ meint da Jan. Der stürmt auf mein Bett zu. Und Abdi auch.

„Bruder, ich dachte, dich höre ich nie wieder.“
„Den Gefallen tue ich euch nicht.“

„Die Schweine. Nen Messer, wie kleine Pisser,“ meint Jan.

„So unehrenhafte Hurensöhne,“ fügt Abdi hinzu.

„Und die anderen?“

„Die Bullen haben alle eingesackt. Ich war auch bei denen,“ erklärt Jan.

„Und Abdi?“

„Mich konnten die nicht. Ich hatte meine Hände auf deiner scheiß Wunde. Hab gedrückt, dass das Blut drinnen bleibt und alles so. Da mussten die mich mitnehmen.“

Abdi ist immer noch voller Blut.

„Danke.“
„Bruder, wir sind uns so nah. So nah war ich keiner Frau.“

Dann geht die Tür auf. Da sind meine Eltern. Mama hat Tränen. Papa starrt vorwurfsvoll.

„Hab die angerufen,“ meint Jan entschuldigend.

„Müsst ihr in eurem Alter noch so einen Scheiß machen?“ meint mein Vater.

Meine Mutter stürzt auf mich. Die küsst meinen Kopf wie bei nem Kleinkind.

Dann geht wieder die Tür auf. Die kommen rein. Die zeigen uns ihre Marke. Sind die Bullen. Die haben Fragen.

Und wieder Wut

Abdi holt uns von Jan ab. Jan quetscht sich hinten zu den anderen. Ich darf vorn sitzen.

„Behandelt mich nicht wie nen Schwerkranken.“

„Ich dachte, du gehst drauf,“ meint Abdi.

„Dachten wir alle,“ dröhnt es von hinten.

„Gebt mir lieber noch ein Bier.“

Man reicht mir ein Bier von hinten. Jan und ich haben wieder vorgetankt. Diesmal Gin und Saft. Jan hat gerade von einer alten gesteckt bekommen, dass er sie geschwängert haben soll. Dementsprechend ist der drauf. Sollen die anderen noch nicht wissen. Weil Gerede und so. Und Jan ist sich sicher, dass die ihm was unterjubeln will. Der kann gar nicht der einzige gewesen sein. Die lutscht gern Schwänze. Das hätte man gemerkt. Das macht die regelmäßig, hat der behauptet.

„Bruder, wie geht’s dir?“ fragt mich Abdi.

„Wenn mich nicht jeder fragen würde, würde es mir gut gehen.“

„Alter, ich sorge mich.“

„Bist wie meine Mutter. Die ruft mich dreimal am Tag an. Wenn die wüsste, dass ich heute wieder unterwegs bin.“

Die nervt wirklich. Die nerven alle. Ich lebe. Die Wunden sind verheilt. Da bleib zwar ne fiese Narbe, aber die sieht ziemlich cool aus. Ich freue mich schon, wenn ich die ner Alten zeigen kann.

Abdi hält auf dem Parkplatz vorm Novum. Ist so ne Großraumdisco. In der Schlange steht ein Haufen junger Leute. Wir kommen uns vor wie am falschen Ort.

„Da können wir was abschleppen?“ will jemand von Abdi wissen.

„Na klar, wir sind alt. Für die haben wir Kohlen. Und was spricht gegen so ne junge 18jährige?“ sagt Abdi. Der sabbert dabei. Für den dreht sich alles um Frauen. Das der noch keine geschwängert hat.

„Ihr nicht,“ meint der Türsteher.

„Warum? Weil mein Vater Kurde ist?“ will Abdi wissen.

„Ne, wir kennen euch. Ihr wart bei dieser Sache im Strohhalm dabei. Das hat sich rumgesprochen,“ meint der Türsteher.

„Wir haben Kohle,“ mischt sich Jan ein.

„Verschwindet einfach,“ betont der Schrank. Zwei weitere Türsteher stellen sich zu dem. Wir schauen denen kurz in die Augen. Ne Sekunde länger und wir würden uns Prügel einfangen. Wir ziehen den Schwanz ein und verschwinden.
„Solche Penner.“

„Jetzt kommen wir in der ganzen Stadt nicht mehr rein,“ befürchtet Jan.

„Ich kenn den Türsteher im Kulturhaus. Das kommen wir rein.“

„Ist da nicht Ü-30?“

„Jap.“

Da kommen wir tatsächlich rein. Und da ist das Publikum älter. Ich will mir gerade nen Jim Cola bestellen und da sehe ich sie. Becca. Die sieht ziemlich betrunken aus. Vielleicht hab ich jetzt ne Chance.

„Du schon wieder,“ begrüßt sie mich.

„Ich kann nicht von dir.“

„Du bist wie so ein Kaugummi, in den man getreten ist.“

„Mich wird man schwer los.“

Becca schaut sich um. Die mustert den Raum.

„Dann tanzen wir,“ schlägt die vor.

Und wir tanzen zu 90er Mucke. Schlechter Eurodance. Aber Becca reibt sich an mir. Ich kriege nen Ständer. Dann schiebt sie mich in eine Ecke. Die küsst mich. So richtig heftig spielen unsere Zunge.

„Ich find dich so richtig toll,“ meine ich.

„Ja, dann komm mit zu mir.“

„Ich finde dich so toll, dass ich heute warten würde. Wir sind betrunken.“

„Ich will dich heute. Heute ist deine Chance, mich von dir zu überzeugen.“

Die Chance kann ich mir nicht entgehen lassen. Ich lasse mich von ihr in Richtung Ausgang ziehen. „Scheiße, da ist mein Ex,“ meint Becca als die nen Typen sieht. Und der sieht Becca. Und dann sieht der mich neben Becca und dann läuft der auf uns zu. Und schon habe ich eine aufs Maul bekommen. Irgendwie stehen meine Jungs dann neben mir. Und die Jungs von Beccas Ex und alle schlagen sich. Die arbeiten auch mit den Händen. Jeder Schlag von denen schmerzt. Und die können auch vertragen. Und dann kommen Türsteher und irgendwie ganz viele andere und dann sind da Sirenen und Blaulicht. Und ich liege auf dem Boden.