Sie starrte ihn an. Es war ein ausdrucksloses Gesicht. Joshua hätte alles in Vanessas Züge hinein interpretieren können. Aber er verfolgte lieber, wie der Wind gegen die Außenfassade des Mehrfamilienhauses klatschte und Regentropfen gegen die Jalousien hämmerten. Das Unwetter beruhigte ihn. Vanessa steigerte seine Nervosität. Sie glotzte ihn weiter mit ihren grünen Augen an, zog ihn aus und gleich wieder an, schnitt ihn in Stücke und setzte Joshua wieder zusammen. Sie kam immer wieder zum gleichen Ergebnis: Er war ein Fremder.

Den Gesichtsausdruck hatte Joshua noch nie an ihr gesehen. Er war neu. Als er zurück in die Wohnung kam, saß Vanessa bereits auf dem Sofa, starr und emotionslos. Sie ähnelte der Karikatur einer trauernden Witwe. Aber sie hatte keinen Verlust zu beklagen. Oder doch? Joshua wusste es nicht. Als er sie fragte, erhielt er keine Antwort. Als er sie küssen wollte, regte sich Vanessa nicht, nur ihre Augen folgten Joshuas Bewegungen. Daran erkannte er, dass Vanessa nicht gestorben war.

Innerlich bebte Vanessa. Ihr Rücken juckte, eine Haarsträhne hingt falsch. Sie konnte nichts dagegen unternehmen. Vanessa durfte den Fremden nicht aus den Augen verlieren.

Joshua zweifelte an sich und an seiner Beziehung zu Vanessa. Die Blicke waren vorwurfsvoll. Er gönnte sich eine Pause und verriegelte die Tür. Das Schloss klackte. Draußen knallte es. Ein Baum war umgefallen. Schnell bewegte sich Joshua auf Vanessa zu. Sie war nicht erschrocken. Dabei ängstigte sie doch Unwetter so sehr.

Wieder redete Joshua auf Vanessa ein. Wieder erhielt er keine Antwort. Wieder regte sich nichts. Nur die Augen, welche vorsichtig von rechts nach links rollten und wieder Joshua fokussierten. Ein Fremder, ein Fremder, wusste Vanessa jetzt genau.

Ich habe doch alles für sie getan. Kein Weg war mir zu lang, kein Wunsch unerfüllbar, sinnierte Joshua und verstand nicht, warum Vanessa ihn so bestrafte.

Vanessa strengte sich an. Sie wollte sich in Luft auflösen. Für einen Augenblick wanderte sie durch die Wände. Sah kurz darauf die Sonne am Himmel strahlen, sich mit Nadine und Johanna am Strand spazieren, spürte den Sand zwischen ihren Zehen. Doch die Feuerwehrsirenen auf der Straße verdeutlichten ihr, dass sie in die Vergangenheit geflüchtet war. In der Gegenwart war sie hier. In einer Wohnung, mit einem Fremden, gefangen.

Joshua fragte sich, wie er handeln würde, wenn Vanessa gehen wolle. Schnell strich er diesen Gedanken aus seinem Kopf. Verbot ihn sich wie ein Zensor. Aber der Widerstand war stärker. Blut, er sah Blut. Es war sein eigenes. Er hatte den Glastisch im Wohnzimmer zerschlagen.

Für wenige Sekunden nahm Vanessa ihren Blick fort. Das Bild war zu grausam. Es breitete Vorwürfe in sie aus. Sie wünschte sich seinen Tod. Zumindest als Joshua außer Haus war. Jetzt tat er ihr Leid. Aber er hatte es nicht anders verdient. Sein Jähzorn war zu groß. Seine Welt zu verdreht. Sein Blut zu dünn.

Joshua betrachtete das zerbrochene Glas. Einzelne Scherben, kleine Splitter und wenige Metallstangen. Aus einem wurde vieles. Es erschien ihm, wie bei Vanessa und ihm selbst.

Seine blutige Hand bewegte sich auf Vanessa zu. Er strich ihr durchs Haar. Blut musste auf ihrer Stirn kleben. Vanessa ekelte sich.

Joshua wusste, dass er loslassen musste. Er wollte doch nicht selbstsüchtig sein. Aber es war so schwer. Er wollte noch einen Kuss. Er wurde nicht erwidert. Dennoch war er für Joshua Balsam auf seiner Seele.

Eine Träne rollte über Vanessas Gesicht. Der Kuss brach ihr fasst das Rückgrat. Doch dann bemerkte Vanessa, dass Joshua damit die Fesseln gelöst hatte. Sie frei war. Wieder rollte eine Träne über ihr Gesicht. Sie flickte sich wieder zusammen. Sie stand auf und betrachtete Joshua. Er lag zusammengeknüllt in den Scherben und wälzte sich umher. Noch mehr Blut. Sie nahm den Schlüssel aus seiner Tasche und steckte ihn ins Schloss. Kurze Zweifel durchzogen ihren Kopf. Dann drehte sie den Schlüssel um. Sie war frei. Nur die Striemen am Handgelenk erinnerten sie an Joshua. Doch mit der Zeit würde es für sie so als hätten Joshua und Vanessa gemeinsam nie existiert.