Davids Körper klebte an der Ledergarnitur im Wohnzimmer. Der Ventilator brummte grimmige Töne. Auf dem Fernsehapparat flimmerten zu einer rockigen Nummer die Torszenen des nun vergangenen Fußballspiels. Es war nicht der erhoffte Knaller. Der Außenseiter ärgerte nicht den Favoriten. Aber die Bierkiste war zur Hälfte geleert.

Gierig schüttete sich David den letzten Schluck in sich hinein. Merkte den bitteren Geschmack im Hals und Mund, riss sich vom Sofa los und steckte das Pfandbehältnis zurück zu seinen Artgenossen.

Seine Kleidung verteilte er zwischen Stube, Flur, Schlafzimmer und Bad. Er wohnte allein in dem Einfamilienhaus. Wenn auch nur für neun Tage.

Seine Freundin erlaubte ihm diesen Luxus, während sie an der Riviera Sonne tanken wollte.

Eifersüchtig war er nicht gewesen als Simone ihm die frohe Botschaft unterbreitete, dass sie mit Carmen in zwei Monaten für eine Woche Strandurlaub gebucht hatte.

Wozu auch? Er liebte Simone. Sie liebte ihn. Und schließlich war Eifersucht etwas für kleine Kinder und nicht für einen Mann Ende zwanzig.

Selbst als Simone vor einem Monat gekündigt wurde und sie deshalb den Trip absagen wollte, setzte David all seine Überzeugungsarbeit daran, dass Simone sich doch die Reise gönnen solle.

Er versicherte ihr, dass er das Loch mit seinem Gehalt schon stopfen könne, die Riviera eine hervorragende Ablenkung für sie sei und die paar Euros kein finanziellen bedeuteten.

Simone ließ sich überzeugen, packte ihren Koffer und sprang mit ihrer Freundin in den Flieger.

David drehte den Duschhahn auf, spritze sich Duschgel in die Hand und verrieb es über seinen Körper.

„Scheiße,“ fluchte David. Genauso wie in den zwei Tagen zuvor. Das Wasser war kalt und machte keine Anstalten sich zu erwärmen. Das war gestern so und würde sich auch morgen nicht ändern.

Er musste die Leitung bis zu Simones Rückkehr repariert haben, wenn er nicht die Hölle auf Erden erleben wollte.

Ihn selbst störte es nach dem ersten Schock wenig. Sein Hoden bekam eine extra Ladung Duschgel ab und sein Penis wurde gar etwas steif. Das hatte er seit der Pubertät nicht mehr erlebt.

Hatte er zu wenig Sex? Seit Simones Entlassung war die Luft wirklich etwas raus. Knarrte die Matratze vorher zweimal die Woche, fiel es ihm jetzt schwer, sich an einen heißen Moment im letzten Monat zu erinnern.

Simone klagte darüber, dass sie sich leer fühle, deshalb keine Lust verspüre. David schenkte ihr Verständnis, auch wenn er gern in seine Freundin eingedrungen wäre.

Sie stand unter Stress, vielleicht sogar in einer Lebenskrise. Simone definierte sich über ihre Arbeit als Assistentin der Geschäftsführung eines kleinen Bauunternehmens. Sie knüppelte mit einem ehrlichen Lächeln Überstunden und bezahlte Fortbildungen aus eigener Tasche. Da zog ihr die Kündigung den Boden unter den Füßen weg und selbst das Versprechen, dass man sie bei einer besseren Auftragslage sofort wieder einstellen würde, gab ihr wenig Hoffnung.

Dann suchst du dir halt etwas anderes, merkte David an.

Doch er erntete nur ein Kopfschütteln und Simones Angst davor, irgendwann nur eine Hausfrau zu sein, deren einziger Lebensinhalt in einer penibel geputzten Wohnung und wohlerzogenen Kindern bestand.

David kam nicht dagegen an und hoffte, dass Simones leidenschaftliche Bewerbungen endlich ein Unternehmen von ihren Fähigkeiten überzeugen könnten und der Spuk ein Ende fände.

Aber weder in dieser Woche, noch in denen zuvor flatterte ein hoffnungsvolles Schreiben in den Briefkasten oder eine begeisterte Personalplanerin an die Telefonleitung. Niemand wollte Simone.

Mit einer halben Latte trocknete David sich ab. Ohne sich etwas anzuziehen, warf er sich in sein Bett, schob seinen Laptop neben sich und klickte auf eine der unzähligen kostenlosen Pornoseiten.

Ihn zwickte zwar das Gewissen, aber eine scharfe Blondine in feinen schwarzen Strümpfen und spitzen High Heels ließ ihn Simone vergessen und sich seinen Penis massieren.

Während er seine Hand auf und ab bewegte, klingelte sein Handy. Aber der Drang nach Befriedigung kette ihn ans Bett. Erst als er eine gehörige Portion Sperma in ein Taschentuch gespritzt hatte, schaute er auf das Display: Entgangener Anruf von Carmen.

Wahrscheinlich wollte Simone sich dann doch melden. Es war nicht so vereinbart. Simone hatte aus Angst beklaut zu werden, ihr iPhone daheim gelassen. Aber sie hatte schon oft nach nur wenigen Tagen Sehnsucht nach ihrem Schatz gehabt. Schade, dachte David, rief aber nicht zurück, denn bestimmt waren die beiden wieder unterwegs und Carmens Handy zurück im Zimmersafe.

Davids Augen fielen sofort zu. Das Bier.

Ohne vom Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden, begrüßte David den Samstag. Bereits um neun Uhr zeigte sich die Sonne von ihrer besten Seite und vermittelte den Eindruck, dass dieser Tag an Hitze und Sommer dem vorherigen in nichts nachstehen würde.

„Verdammt,“ sagte David kurz auf als er auf sein Handy schaute. Wieder hatte Carmen angerufen. Diesmal mitten in der Nacht. Einmal um drei Uhr drei, dann um vier Uhr dreiundzwanzig und noch einmal um fünf Uhr siebenundzwanzig. Die werden ordentlich gefeiert haben, vielleicht hatte Simone Lust auf etwas Dirty Talk. Dann hätte ich mir das Wichsen sparen können.

Eine verheißungsvolle Vermutung, die David davon träumen ließ, dass alles wieder wie in den guten alten Zeiten wäre, wenn Simone zurück komme.

Um das erhoffte wieder gewonnene Glück nicht augenblicklich auf eine neue Probe zu stellen, krallte sich David sofort sein Werkzeug. Er suchte eine Pumpenzange, Hammer, Schraubenzieher und Handschuhe zusammen, schnappte sich sein Handy für den Fall, dass Simone noch einmal anrufen würde und wanderte die Treppe hinab.

Vor der Kellertür klingelte es wieder, noch einmal mit Carmens Nummer.

„Hey mein Engel.“

„Wie bist du denn drauf?“ fragte die Stimme. Es war Carmen.

„Oh, Entschuldigung. Ich dachte, du wärst Simone.“

„Simone?“
„Ja, kannst du sie mir mal geben?“
„Ich?“

„Ja, du.“

„Wieso?“

„Jetzt treib keine Spielchen, oder hast du noch Restalkohol im Blut?“

„Alkohol? Bist du drauf?“
„Carmen. Bitte, ich habe Sehnsucht.“

„Wie bitte?“

„Haha, selten so gelacht. Bitte gib mir Simone. Ist echt nicht mehr witzig.“

„David, ich wollte Simone sprechen,“ warf Carmen ein.

„Haha, warum rufst du dann mich an?“

„Weil ihr Handy aus ist,“ sagte Carmen.

Jetzt blieb David die Luft weg. Sagte Carmen die Wahrheit, oder übertrieb sie es mit ihren Späßen?

„Aber, aber ihr seid doch zusammen an der Riviera.“

„Was? Simone hat den Urlaub vor zwei Wochen abgesagt,“ erklärte Carmen.

„Wie?“

„Das wusstest du nicht?“

„Nein,“ sagte David. Er fühlte sich alleingelassen, betrogen und verwundet.

„Oh, dann hat sie dir sicherlich noch nichts von der Neuigkeit erzählt.“

„Welche Neuigkeit?“

„Das sollte sie dir lieber selbst erzählen.“

„Sie will mich verlassen und ist mit einem Kerl durchgebrannt,“ vermutete David sofort.

Am anderen Ende der Leitung wurde es still.

„Carmen?“

„Ja?“

„Sag mir die Wahrheit, bitte.“

„Sie hat dich nicht betrogen. Simone liebt dich.“

„Wo ist sie dann?“

„Das weiß ich auch nicht.“

„Siehst du. Was soll ich da denken?“

„Mensch David. Simone sollte es dir wirklich selbst erzählen.“

„Also doch,“ fühlte er sich bestätigt.

„Nein, sie will sich nicht von dir trennen, mach es mir nicht so schwer. Ich war die erste, die es erfahren durfte.“

„Was? Sag schon.“

„David!“

„Los, bitte. Ich sterbe sonst vor Sorge.“

Stille.

„Du wirst Vater. Papa David.“

„Was?“

„Simone ist schwanger. Wahrscheinlich braucht sie deshalb Zeit für sich. Sie ist bestimmt zu ihrer Schwester gefahren.“

„Warum hat sie dann ihr Handy hiergelassen und mich belogen?“

„Damit sie sich in aller Ruhe sammeln kann.“

„Verstehe ich nicht.“

„Musst du auch nicht. Also herzlichen Glückwunsch Papa. Richte Simone aus, dass sie sich bitte melden soll, okay?“

„Gut.“

„Ciao,“ sagte Carmen und legte auf.

David lehnte seinen Kopf an die massive Kellertür.

Ich werde Vater, ich! Ein kleines Abbild von Simone und mir, gezeugt in Liebe. Ich werde Vater, dachte sich David und hätte am liebsten die ganze Welt umarmt.

Er wollte sich mit der Reparatur der Heizungsanlage beeilen. Eine schwangere Frau sollte man nicht frieren lassen. Schwungvoll riss er die Tür zum Heizungsraum auf. Doch was er auf dem Boden sah, war ein Job für einen Profi.

Das Wasser stand bereits ein paar Zentimeter hoch und verteilte sich konsequent im Raum.

Als David den Grund für die Überschwemmung ausmachen wollte, blieb die Welt für einen Augenblick stehen, um dann komplett aus den Fugen zu geraten.

Neben dem angebrochenen Heizungsrohr baumelte an einer dicken Leitung ein Strick. In der Schlaufe hing Simone.