Eine Krähe starrt in das Fenster. Sie beobachtet jeden Handgriff. Sie krächzt laut. Ich erschrecke mich. Ich lasse den Schwamm in die Blutlache fallen.

„Sie verstehen sie, nicht?“ entgegnet mir die Witwe.

Sebastian schaut mich an. Er grinst. Sie kann sein Gesicht nicht sehen. Ich antworte nicht.

„Kommen Sie lieber mit mir in die Küche,“ sagt Herr Klingbeil. Der Seelsorger schiebt die Witwe aus dem Wohnzimmer.

„Er kann es auch sehen. Nur noch nicht deutlich,“ sagt die Witwe zu Klingbeil.

Sie steht unter Schock. Wer kann es ihr verübeln?

Die Leiche ihres Mannes liegt im Wohnzimmer. Der Kopf ist überall verteilt. Schädeldecke unter dem Sofa. Schädeldecke unter dem Tisch. Schädeldecke vor dem Fernseher. Überall Blut, Hirn, Haut.

Schrottflinte. Kompromisslos. Chancenlos.

Auf dem Flachbild läuft Netflix. Der Abspann von Rick & Morty. Was treibt jemanden dazu, sich dabei das Hirn rauszupusten?

Die meisten inszenieren ihren Selbstmord: Melancholische Songs, Kerzen, ein langer Brief.

Hier: Nichts. Ein Typ ohne Kopf. Mehr nicht. Rücksicht auf seine Frau? Fehlanzeige.

„Ihr könnt ihn mitnehmen. Keine Zweifel,“ wirft uns die Kommissarin entgegen.

Wir schnappen uns den Leichnam. Ich die Beine. Sebastian die Schulter. Zack. Der Tote liegt in einem Sarg.

In der Küche sitzt Klingbeil mit der Witwe.

„Wollen Sie noch Abschied nehmen?“ frage ich.

„Habe ich schon,“ entgegnet sie mir. Sie greift zu meiner Hand. Sie umfasst sie. Ihre Hände sind warm. Es durchschießt mich.

„Vielen Dank. Wir sehen uns schon bald wieder,“ sagt sie ganz klar zu mir.

Ich löse meine Hände aus ihren. Sie lächelt. Sie hat eine Macke.

„Herr Klingbeil, könnten Sie kurz?“ fordere ich ihn auf, mir in den Flur zu folgen. Er versteht. Er schaut mich erwartungsvoll an.

„Es sieht darin schlimm aus,“ erkläre ich.

„Okay, wir warten auf den Tatortreiniger,“ versteht er sofort.

Sebastian und ich rollen den Sarg heraus. Langsam schieben wir ihn in den Benz. Show für die Schaulustigen.  

Sebastian rast ins Bestattungsinstitut. Wir verlieren kein Wort. Wir huschen in die Garage. Sebastian hetzt aus dem Wagen zum Aufenthaltsraum. Er raucht. Wir verschweigen. Der Chef kommt.

„So schlimm?“ will er wissen.

„Der Kopf war überall,“ antworte ich.

„Mist,“ fügt er an.

„Termin?“ fragt er.

„Klingbeil kümmert sich. Er wird die Witwe zu uns bringen,“ antworte ich.

„Gut. Ich habe da noch eine. Lege ich hier ab,“ meint der Chef. Er legt drei Dokumente in Klarsichtfolie auf einen Tisch.

Sebastian drückt die Zigarette aus. Er schüttelt den Kopf. Dann springt er in den Wagen. Ich auf den Beifahrersitz.

„Die Selbstmorde machen mich fertig,“ sagt er.

Ich gehe nicht drauf ein. Sebastian bedeutet mir nichts. Sebastian ist immer so selbstgerecht. Sebastian will immer der Liebling des Chefs sein. Sebastian ist ein Arsch.

Wir fahren durch die Stadt. Krankenhaus. Pathologie.

„Ich bin etwas traurig,“ meint der Assistent der Pathologie.

„So etwas Niedliches hat man nicht oft,“ fügt er an.

Wir folgen ihm. Er zieht eine Kühlkammer auf. Nackte Haut. Wir heben an. Wir legen den Leichnam auf einen metallenen Tisch.

„Sehr schöne Brüste. Und echt,“ meint der Assistent.

Er hat recht. Sehr schöne Brüste. Kalte Brüste. Tote Brüste.

„Ist mir lieber als die ganzen Kopflosen. Woran ist sie gestorben?“ will Sebastian wissen.

Ich schaue an dem Körper nach Verletzungen. Nichts.

„Vergiftet,“ erklärt der Assistent.

„Echt?“

„Trompetenbaum. So schön, aber noch so dumm,“ erklärt der Assistent.

Wir ziehen ihr das Sterbehemd über. Wir sargen sie ein. Wir schieben sie in den Wagen.

„Lebe wohl meine Schönheit,“ meint der Assistent. Wir fahren weg.

„Will nicht wissen, was er mit der Kleinen angestellt hat,“ meine ich.

„Wer will es ihm verübeln,“ fügt Sebastian an. Er grinst. Deshalb ist er ein Arsch.

Wieder im Bestattungsinstitut. Unser Chef ist aufgebracht.

„Die Witwe. Sie will Abschied nehmen,“ erklärt er.

„Wann?“ will ich wissen.

„Noch heute.“

„Da wird sie sich gedulden müssen,“ meine ich. Ich verweise auf die Uhrzeit. Feierabend naht.

„Sie zahlt gut. Auf wen von euch kann ich mich verlassen?“ fragt unser Chef.

„Zahnarzt,“ lügt Sebastian schneller.

„Ich mache es,“ meine ich zähneknirschend.

„Danke, danke, danke,“ sagt mein Chef. Beide lassen mich schnell allein.

Den Kopflosen aus der Kühlkammer gerollt. Sarg auf dem Boden. Sarg auf.

Über dem Hals ist nichts.

Wie kann ich ihn gestalten? Wie kann ich ihn darstellen? Ein Tuch über den Kopf? Einen Ballon als Ersatz? Warum will die Witwe Abschied nehmen?

„Ich will nur seine Hand halten,“ meint die Witwe. Sie steht plötzlich hinter mir.

„Mehr will ich nicht. Nur seine Hand halten. Sie brauchen nichts zu verschönern. Er soll nicht allein gehen. Er ist noch da,“ erklärt sie.

Ich schaue sie an. Sie meint es ernst. Sie schiebt mich beiseite. Sie greift die Hand. Sie ignoriert den fehlenden Schädel. Sie murmelt etwas. Sie wiederholt es. Wieder und wieder und wieder.