Chewie schaut mich an. Seine Augen sind feuerrot. Ich will ihn nicht ansehen. Er macht mir irgendwie Angst.

Schneller Blickwechsel zum Fernseher. Zu Alf. Er quatscht mit Willie. Es geht um irgendeine Rechnung. Die Katze läuft vorbei. Alf beleckt sich die Lippen.

Hat Alf Lippen? Warum beleckt sich diese verdammte Puppe irgendetwas? Oder die Nase? Oder den Mund? Und woher kennt er das? Beleckt man sich bei Hunger in jeder Galaxie? Machen das alle intelligenten Lebewesen auch über die Milchstraße hinaus? Habe ich eine übergalaktische Weisheit erkannt? Die universale Religion des Beleckens! Ich bin ein verfickter Prophet.

„Lass uns noch einen rauchen,“ schlägt er vor.

„Nein man, ich habe Knast. Ich brauche etwas zwischen die Zähne,“ sage ich. Ich denke an Muffins.

Gott verdammte Muffins. Aber nicht irgendwelche Muffins. Diese abgepackten von Lidl. 4 Stück in einer Packung für 1,49 Euro. Und nicht diese Szenedinger mit Schokolade. Helle Muffins mit Zuckerguss. Ich will diese verdammten Muffins.

„Ich will Fleisch,“ stöhnt Chewie.

„Gibt es bei Lidl auch,“ sage ich.

„Lidl?“ schaut mich Chewie ungläubig an.

„Ja, Lidl,“ bestätige ich. Ich ziehe mir Schuhe an. Chewie folgt mir.

Im Treppenhaus steht Chewie vor der Tür meiner Nachbarn. Er drückt seine Augen ans Klingelschild.

„Die heißen Ricken. Was reimt sich auf Ricken,“ brüllt er durchs Treppenhaus.

„Bist ein Wahnwitziger,“ entgegne ich ihm und ziehe ihn weg. Es ist lustig. Aber ich will keinen Stress mit meinen Nachbarn. Ich brauche niemanden, der mich verfolgt. Ich will meine Ruhe.

„Warum zu Lidl? Wollen wir nicht lieber zu Tante Krause? Ich habe Hunger auf ne bunte Tüte,“ sagt Chewie.

„Ich dachte auf Fleisch?“

„Die haben Bifi und Carazza.“

„Wegen der Muffins,“ erkläre ich.

„Muffins? Wegen Muffins so nen weiten Weg?“

„Sind Zaubermuffins. Wenn du die Muffins mit Gras isst, siehst du die Zukunft,“ spinne ich.

„Geil, dann weiß ich, ob… Ja, was weiß ich dann eigentlich?“ meint Chewie.

„Wie die Zukunft ist,“ werfe ich ein.

„Interessiert mich das? Irgendwie langweilig. Dann muss ich nicht mehr leben,“ stellt Chewie fest.

„Stimmt.“

„Also nicht zu Lidl?“

„Doch, wegen der Muffins,“ wende ich ein.

„Ich will aber meine Zukunft nicht kennen,“ sagt Chewie.

„Zusammen mit was Fleischigen kannst du für drei Tage die Gedanken von anderen lesen,“ behaupte ich.

„Das ist geil. Dann kann ich allen nach dem Mund reden. Dann brauche ich keine verfickten Templates mehr. Ich kann Trauerreden genau nach dem Wunsch der Angehörigen schreiben. Wie geil!“

„Aber nur 3 Tage lang,“ werfe ich ein.

„Dann wird hoffentlich ab jetzt viel gestorben.“

„Hoffst du das nicht immer?“ frage ich.

Ich erhalte keine Antwort von Chewie. Er starrt um sich. Er ist immer so paranoid, wenn er zu viel gepafft hat. Wie bei Chris mit dem verdammten Koks. Oder bei Chris mit allen Drogen. Chris halt. Chris und Chewie. Meine besten Freunde. Seit schon immer. Wir die drei Freaks.

„Nicht das mich jemand erkennt. Verdammt, ich bin selbstständiger Trauerredner. Hier muss mich nur jemand sehen. Ich mit meinen Augen. Ich so bekifft. Ich kann einpacken,“ startet Chewie seinen Wahn.

„Hier kennt dich keiner.“

„Doch, drei Blocks weiter ist dieser Kambodschaner verreckt. Zwei Straßen entfernt die Kleine mit den gemachten Brüsten bei nem Autounfall. Ich bin noch zu jung. Ich bin noch keine feste Größe unter den  Trauerredner. Ich kriege keine Aufträge mehr. Und dann muss ich noch so nen Scheiß machen wie du. Ich gebe mir die Kugel,“ sagt Chewie.

„Keine Panik, sobald dich jemand kennt, sorge ich dafür, dass es zu keinem Wortwechsel kommt,“ beruhige ich.

„Oder wir drehen um und rufen Chris an. Der besorgt uns etwas zu essen,“ meint Chewie.

„Dienstreise. Der ist irgendwo im Osten,“ erinnre ich.

„Fuck.“

Wir stehen vorm Lidl. Als hätte uns jemand gebeamt.

„Gras ist 100% eine außerirdische Technologie. Das haben die uns geschenkt. Wir wissen nur nicht, wie wir es nutzen sollen,“ sagt Chewie.

„Klingst wie Chris,“ werfe ich ein.

„Der labert gerade von diesem Amerikaner. Der Ufos gesehen haben will. Hat sogar im Kongress ausgesagt. Vielleicht ist was dran.“

„Vielleicht auch nicht.“

Im Lidl werden wir gleich vom grellen Licht geblendet. Als würde uns ein Bulle seine Maglite direkt in die Fresse halten. Als stünden wir auf einer Bühne und es würde losgehen. Fuck. Vielleicht sind wir auf einer Bühne. Vielleicht ist das gar kein Lidl. Das ist Reality TV. Scheiße.

„Scheiße, die schauen alle,“ flüstere ich Chewie ins Ohr.

„Verdammt, ja. Ich sehe es. Die starren uns alle an. Aber schreie nicht so. Was geht hier ab?“

„Ich weiß es nicht. Aber das ist nicht lustig,“ meine ich.

„Und das waren dir die Muffins wert? Unser Leben? Die werden uns fressen. Das sind bestimmt Menschenfresser.“

„Es tut mir leid.“

„Und jetzt?“

„Lass uns schnell die Muffins schnappen,“ schlage ich vor.

Zum Glück sind die Muffins sehr weit vorne. Ich greife mir gleich 3 Packungen.

„Das müsste reichen,“ sage ich.

„Hoffentlich.“

Am Gemüse starren uns gleich zwei Muttis an als würden wir ihre Kinder entführen wollen. Und die Kinder gaffen, als würden sie uns angreifen. Miese Masche. Kinder und Besoffene sind immer ehrlich. Mütter sind verlogen. Vorgegaukelte Angst. Wir sollen deren Mittagessen sein.

„War was im Gras?“ will ich wissen. Chewie hatte es mitgebracht. Ein Geschenk von einem Kunden.

„Ich vermute, in LSD getränkt.“

„Verdammt, wie wollen wir jetzt zwischen Wirklichkeit und Rausch unterscheiden?“

„Alles ist wahr. War es schon immer. Rausch ist nur eine andere Brille,“ wird Chewie philosophisch.

„Fick dich,“ sage ich zu laut. Mich starrt ein Opa am Käse an. Er will mich überbacken. Ich bin mir sicher.

„Schnell,“ fordere ich von Chewie.

Ich sehe bereits die Kasse. Ich eile dahin. Ein junger Typ mit Kopfhörern stellt sich mir in den Weg. Ich bremse. Ich balanciere die Muffins.

Sucht er Ärger? Er stellt sich auch an. Kein Ärger.

„Die starren immer noch. Das sind bestimmt Zombies. Die Welt ist zu einem Zombieplaneten geworden,“ stottert Chewie.

Ich schwitze beim Anstellen an der Kasse. Ich laufe aus. Ich werde zu Flüssigkeit. Ist es mein Ende? Oder der Beginn einer Superkraft?

„4,47 Euro,“ will die Kassieren. Sie sieht aus wie die Frau von Stockmann. Sie könnte ein Zahnstocher sein. Kann sie Ficken? Passt da überhaupt ein Penis rein. Und wie kackt sie? Wahrscheinlich in ganz dünnen Strichen. Kopfkino.

Ich krame die Münzen heraus.

„Passt so,“ schenke ich der Handelskette 3 Cent für nichts.

Chewie und ich sind endlich frei.

Wir gehen zurück. Wir werden verfolgt. Diesmal von einer Katze.

„Siehst du sie?“ will ich wissen.

„So ein getigertes Mistvieh,“ antwortet Chewie.

Er bleibt dann abrupt stehen. Er kniet sich nieder.

„Miez, miez, miez,“ macht er. Wenn die Situation nicht so brenzlig wäre, ich würde mich über ihn lustig machen.

Die Katze geht tatsächlich auf ihn zu. Sie faucht etwas. Dann lässt sie sich streicheln.

„Ist doch freundlich,“ stellt Chewie fest.

„Das LSD macht mich fertig,“ behaupte ich.

Nie wieder Gras getränkt in LSD. Ich will entspannt sein. Ich will keinen Trip.

„Wir haben Fleisch vergessen,“ sagt Chewie. Er nimmt die Katze auf den Arm.

„Dafür haben wir Muffins,“ erinnere ich.

„Und jetzt auch Fleisch,“ behauptet Chewie.

„Was stimmt mit dir nicht?“

„Ich will Fleisch. Auf Melmac nennt man das jagt,“ sagt Chewie.