Weil sie wie Vanessa heißt? Weil sie klüger ist als ich? Oder einfach weil sie so heiß ist?

Warum bin ich hier? Warum steige ich aus dem Zug in dieser verfluchten Stadt. Warum habe ich meine verfluchte Stadt verlassen?

Wegen eines Ficks?  Ein kurzes Rein und Raus? Oder mehr? Romantik? Liebe?

Erster Kiosk. Gleich eine Dose Becks. Die habe ich nötig. Die brauche ich. Ich will nicht in mir kramen. Ich will mich nicht verstehen. Ich will mich nur treiben lassen.

Am ersten Ausgang stelle ich mich raus. Es sieht nach Hinterausgang aus. Es riecht nach Pisse. Ich sehe die Bahnhofsmission.

Ich will gerade zurück. Da steht ein Penner vor mir.

„Wer ist dein Chef?“ will er wissen.

Ich ignoriere ihn. Ich schaue auf den Boden.

„Wer ist dein Chef? Du musst doch einen Chef haben? Jeder hat doch einen Chef,“ sagt er.

Ich verstehe ihn kaum. Entweder ist er voll oder drauf oder beides. Er riecht nach Schweiß. Er ist mir unangenehm. Aber auch ich mir. Er ist Mensch. Er hat eine Geschichte. Er ist hier wegen eines Weils. Kausalität. Wie kann ich da nur? Ich scheinheiliges Arschloch.

„Du bläst doch Schwänze. Oder soll ich dir einen?“ will er wissen. Es wird unangenehm.

„Ich bin frei. Ich habe keinen Chef. Selbständig,“ versuche ich es mit nem ernsthaften Gespräch.

„Frei? Frei. Frei,“ murmelt er mir nach. Er steht dicht an mir. Ich kann seinen Atem riechen. Und ihm nicht entkommen.

„Weißt du wie du aussiehst?“ will er wissen.

„Nein,“ antworte ich.

„Du siehst aus wie Tom Cruise,“ sagt er.

„Danke. Ist zwar klein. Aber die Frauen stehen auf ihn,“ meine ich. Ich bin nicht glücklich mit dem Kompliment. Ich nippe an meinem Bier. Ich würde es gern exen.

„Der ist ein Pädo. Bist du pädophil? Wer aussieht wie Tom Cruise, muss ein Pädo sein,“ unterstellt er mir.

Ich bin sprachlos.

„Ich will auf ein Konzert,“ lüge ich in Erinnerung an die Red Hot Chilli Peppers Fans im Zug.

„IIIIII willlllll always love youuuuuuuu!“ brüllt er. Viele drehen sich zu uns um. Sie halten mich auch für nen Penner. Ich will im Boden versinken.

„Das ist Musik. Von dieser Toten. Kennst du die? Der hätte ich es gern besorgt,“ meint er.

Dann stehen drei Bullen neben uns. Mir schlägt das Herz. Aber sie wollen nichts von mir. Sie wollen den Typen.

„Du bist zu laut, Lou. Hast du deinen Ausweis dabei?“ wollen sie von ihm wissen. Sie kennen ihn.

Ich nutze die Chance. Ich verschwinde. Er hat mir nichts getan. Er hat niemanden etwas getan. Er ist einfach nur da gewesen. Hätte ich etwas sagen sollen?

Nicht nachdenken. Nen Jack Daniels im Kiosk. Dann zur Straßenbahn. Richtung Hotel.

War ich mal mit Vanessa hier? Also der Alten. Dem Original. Der Brünetten. Der Italienerin.

Natürlich. Vanessa und ich waren überall. Jeder Ort ist von Erinnerungen an uns verseucht. Ermöglicht keinen Neuanfang. Es ist immer da. Dieses Alte. Diese Vergangenheit. Egal wie lang es her ist.

Der Typ an der Rezeption mustert mich beim Check-In. Er beschaut mich wie ein Stück Fleisch. Er ist sich unsicher.

„Meine Freundin kommt nach,“ helfe ich ihm.

„Kein Problem. Sie haben für ein Doppelzimmer bezahlt,“ wird er gleich förmlich.

Er gibt mir die Zimmerkarte. Ich versuche, seine Hände nicht zu berühren. Wie peinlich. Was stimmt nicht mit mir? Warum konnte ich es nicht als Kompliment werten?

Ich sehe eine rothaarige Schönheit in den Fahrstuhl huschen. Ich beeile mich. Wegen ihr. Ich schaffe es auch noch rein. Ich quetsche mich dazu. Ich schaue sie an.

„Heiß hier,“ verweise ich auf meine Schweißflecken. Sie nickt mir zu. Sie will schnell raus. Das merke ich. Habe ich etwas falsch gemacht?

Raus aus der Peinlichkeit. Hinein in mein Hotelzimmer. Schnell die Sachen herausgeholt. Ab unter die Dusche. Gleich treffe ich mich mit Vanessa. Der Neuen. Der Schlauen. Der Blonden.

Sie holt mich ab. Mit Taxi. Sie hat mehr Kohle wie ich. Jackpot. Wir gehen in irgendeinen veganen Szeneladen. Sie will die Rechnung übernehmen. Schließlich habe ich so viel Aufwand auf mich genommen, um sie nach Madrid wiederzusehen.

Und das nur, weil wir dort gemeinsam am Flughafen festsaßen. Sie mich auf meinen Paul Auster Roman ansprach. Wir redeten und redeten. Bis der Flieger zurück nach Berlin ging und sich unsere Wege in unterschiedliche Richtung trennten.

Sie fand mich auf Insta wieder. Sie schrieb mich an. Sie weiß, was sie will.

„In dein Hotelzimmer,“ schlägt sie vor.

Wir gehen. Sie zieht mich aus. Sie wirft sich aufs Bett. Ich folge. Sie drückt mich runter. Ich will mich wehren. Ich merke, dass ich das nicht will. Warum? Weil ich keine Liebe will?

Ich drücke mich nach oben. Sie versucht noch einmal die Oberhand zu gewinnen. Sie schafft es nicht.

„Was soll der Scheiß?“ fragt sie.

„Ich will das nicht,“ sage ich.

„Dein Pech,“ wirft sie mir entgegen. Sie springt aus dem Bett. Sie zieht sich schnell an. Dann ist sie verschwunden. Ich bin allein. Ich verstehe nichts. Was sollte das? Was stimmt nicht mit mir? Ist es die alte Vanessa? Ist es die Vergangenheit? Ich will das abstreifen, was war, woher ich herkomme. Aber wie?