Wieder so eine Nacht. Voller Erwartungen und jetzt das. Ich war mit Benni im Kino. Wieder irgendein Streifen mit vielen Toten. Ein alter Schauspieler nimmt Rache. Rache an irgendjemanden. Wegen irgendeiner Lappalie. Wegen irgendetwas, was man auch hätte bereden können.

Aber dann wäre es keine Story. Dann hätte sich der alte Schauspieler nicht hochtrainieren dürfen. Hätte keine Berechtigung gehabt für die Millionengage. Und es hätten nicht so viele alte Säcke mit ihren fetten Bäuche mir im Kino die Luft weggeatmet.

Der Film war ganz okay. Viel Gewalt. Verachtende Dialoge. Fand Benni auch.

Aber das Bier war besser. Nicht so überteuert wie in dem fucking Cinemaxx. Noch freundliche 2,50 Euro für ein ehrliches Flensburger. Gott schütze die unabhängigen Kinos. Fünf für jeden in 114 Minuten. Kein schlechter Durchschnitt. Die Weiber, die uns zu Anfang noch gemustert hatten, waren jetzt von uns angewidert.

Verständlich. Wir waren schon angetrunken. So benahmen wir uns dann auch. Laut, rücksichtslos, nur auf uns bezogen. Benni und ich halt. Benni und ich am Wochenende.

Long Story short. Wir stehen jetzt draußen. Es ist September. Weder warm noch kalt. Die Tage wissen nicht, was sie wollen. Und wir auch nicht. Nach Hause? Oder noch um die Häuser ziehen?

Dann ab auf die „Partymeile“. Nur Pisser unterwegs. Die Junge Union feiert sich selbst in einer Bar. Ein paar Afrikaner teilen sich ne Flasche Bacardi. Im Pub grölen die Ultras ihre Lieder.

Kein Platz für Benni und mich in dieser Stadt. Keinen Plan wohin. Aber ich habe Bock.

Benni nicht wirklich. Benni macht das nur wegen mir. Wenn wir ne Pussy sehen würden, wäre seine Laune besser. Aber Arschlecken. Nur hässliche Typen und zu junge Dinger. Wollen ja nicht im Knast landen.

„Ihr seid nicht geil,“ pöbelt uns ein Typ an. Er sitzt in einem Plastikstuhl. Wir könnten ihn einfach umschubsen. Aber 6 anderen Besoffene sitzen neben ihm. Sie wären schnell aus ihrem Plastikstühlen direkt vor uns. Klassische Überzahl.  

Wir ignorieren gekonnt. Und verschwinden auf den verlassenen Minigolf Platz. Am achten Loch setzen wir uns hin.

„Jetzt ein Kaltes,“ stöhnt Benni.

„Jetzt leben,“ füge ich hinzu.

„Nicht in dieser Stadt,“ meint Benni. Er ist wie alle. Alle regen sich über diese Stadt auf: Nur die Falschen unterwegs. Nichts mehr los. Früher war es mal anders. Die Stadt ist einfach zu klein. Ist nicht Berlin, oder Braunschweig, oder, oder, oder.

„Sind aber hier,“ meine ich und stehe auf vom Achten.

Irgendwo dröhnt Mucke. Aus nem Altbau. Mich zieht es hin.

„Hausparty,“ stellt Benni fest.

„Bist ja ein ganz Schlauer,“ meine ich. Er drückt mir eine auf die Schulter. Ja, wir sind Proleten.

„Lass uns probieren,“ schlägt er vor.

Wir steuern in Richtung der lauten Musik. Wir stehen vorm Altbau. Wir gehen die Treppe hoch. Knutschende Paare kommen uns entgegen. Mal Frauen mit Männern, mal Frauen unter sich, mal Männern unter sich.

„Sieht interessant aus,“ meint Benni. Ich verziehe zustimmend das Gesicht.

„Wer seid ihr?“ will jemand vor der Haustür wissen.

„Freunde der Gastgeber,“ meine ich großspurig.

„Und die sind?“ will der Klotz wissen. Er weiß, dass ich keine Ahnung habe.

„Arne und Jolin,“ rate ich ins Blaue hinein.

„Arne und Jolin wollen, dass Neue mit nem Finger bezahlen,“ meint der Klotz.

„Nem Finger?“ hinterfragt Benni.

„Ja, aber nur, wenn es auch gefallen hat. Dann müsst ihr nen Finger hier lassen. Mache ich selbst. Bin darin Profi. Ihr könnt euch auch einen aussuchen. Nehmt nur nicht den Daumen. Sonst sind alle ersetzbar,“ sagt der Klotz. Er ist mir sympathisch. Er verarscht gut.

„Also dürfen wir?“ sage ich. Er nickt. Dabei stehen wir schon drin. Nen Türsteher bei einer Hausparty. Den Witz haben wir selbst schon tausendmal gebracht. Aber der war echt gut.

Wie das, was wir sehen. Ein kleiner Berg Koks. Alle bedienen sich. Wir auch. Aber nicht zu viel. Ich spüre es gleich. Ich bin zwei Meter größer. Und Gras. Vorgefertigte Tüten. Ich schnappe mir ne ganz dünne nur für mich allein. Dazu ein kaltes Becks.

„Wo sind wir hier?“ frage ich Benni.

„Im Himmel. Das ist der Himmel,“ meint er.

Wir gehen durch die Wohnung. Es ist voll. Es ist eng. Aber alle tanzen. Irgendein Elektrokram. Alle sind halb nackt. Es muss tatsächlich der Himmel sein. Eine verschwitze Rothaarige kommt auf mich zu. Ihre Nippel verraten: Kein BH. Ihre Augen verraten: Viele Drogen.

„Susanne,“ sagt sie.

„Susanne zur Freiheit,“ werfe ich ihr entgegen. Sie leckt mir durch das Gesicht.

Benni macht schon mit einer Blonden rum. Ich sehe ihren runden Po. Darauf steht er. Benni liebt Ärsche. Und ich alle Frauen.

Ich nutze die Chance. Ich berühre mit meiner Zunge die von Susanne.

„Nicht so einfach,“ meint sie.

Sie greift meine Hand. Sie öffnet eine Tür. Ich sehe ein Bett. Ich sehe mindestens ein Dutzend andere darauf rummachen. Dabei Arschbacken. Dabei Brüste. Dabei zu viel nackte Haut. Rudelbumsen.

Eigentlich nicht mein Ding. Aber das Koks lässt meine Hemmungen fallen. Ich lasse mich von Susanne in eine Ecke drücken.

Sie macht an meinem Hals rum. Er steht.

„Pass auf,“ sagt mir Susanne. Sie schaut mich an. Sie weiß, was kommen wird. Ihrem Blick zu Folge hat es mir zu gefallen.

Ihre Hand rutscht in meine Hose. Herunter an meinem Penis. Sie greift kurz meine Eier und dann: Fuck. Sie steckt den Finger in meinen Arsch. Was soll das?

Ich komme sofort. Es ist wie Zauberei. Aber ich wollte das nicht. Ich fühle mich irgendwie. Ja, wie? Irgendwie benutzt.

„Das hat dir kleinem Schweinchen gefallen, wa? Bist schon der sechste,“ sagt Susanne.

Sie lacht. Sie dreht sich von mir weg. Sie verschwindet.

Ich stehe sprachlos in dem Schlafzimmer. Um mich herum wird gestöhnt. Es riecht nach Schweiß und Lust. Es ekelt mich an. Wie ich. In meiner Hose klebt es.

Ich suche das Klo. Ich will mich waschen. Aber auch da keine Ruhe. Überall macht irgendwer mit jemanden rum. Ich will mich nur waschen.

Benni steht plötzlich neben mir. Er sieht auch mitgenommen aus.

„Lass uns nicht drüber reden. Lass uns nur verschwinden. Schnell,“ meint Benni.

Der Klotz steht immer noch vor der Tür. Er hält mich fest. Er greift mein Handgelenk. Er zieht tatsächlich ein Messer. Jetzt finde ich es nicht mehr lustig.

„Welcher darf es sein?“ will der Klotz wissen.

„Es war scheiße,“ sage ich. Der Klotz schaut mich erstaunt an. Lange. Durchdringend.

„Verdammt, wie kann es euch nicht gefallen haben?“ fragt er. Er schaut mich weiter an.

„Will ich nicht erzählen müssen,“ sage ich. Benni schüttelt den Kopf. Er will auch nicht darüber reden.

„Dabei musste ich das Messer schon schärfen,“ entgegnet der Klotz.

Noch einen langen Blickkontakt. Ich schäme mich. Dafür, was mir passiert ist. Dafür, dass es mir keinen Spaß gemacht hat. Dafür, dass ich überhaupt hier bin.

„Dann sehen wir uns nie mehr,“ sagt der Klotz. Er lässt uns raus. Wir gehen ohne Worte zu wechseln aus dem Treppenhaus. Die Straße entlang. Die nächste Straße. Erst als die Musik verstummt ist, bleiben wir stehen.

„Über die Nacht reden wir nie wieder,“ beschließt Benni.

„Es ist einfach eine kaputte Stadt,“ füge ich an.