Der Regen flog gegen die breite Glasfront des Irish Pubs.

Max beobachtete die Tropfen wie sie langsam die Scheibe herunterliefen und zu nichts wurden.

Zwei Mädels huschten an Max vorbei. Sie platzierten sich an einem Stehtisch und rauchten. Die Luft stand in dem Raum. Es roch nach kaltem Qualm.

Der Kellner öffnete die Tür. Es zog kurz Musik in den abgetrennten Raucherbereich. Mit dem einklinkenden Schloss verstummte sie wieder.

Die Mädels bestellten einen Mojito. Der Kellner machte einen Scherz.

Dann ließ er mit ernster Miene den nächsten Tequila in Max Glas laufen. Auf die Zitrone wurde verzichtet. Das Salz kam aus Max Tränen. Der Kellner nickte Max verständnisvoll zu. Max ließ den Alkohol die Kehle herunterlaufen. Er verzog nicht das Gesicht.

„Soll ich die gleich hierlassen?“

Max nickte nur.

Die Zeit verstrich. Die Mädels vom Stehtisch waren schon längst ins Innere des Pubs verschwunden. Wurden ausgetauscht durch Afterworker. Einem jungen Paar. Und einem halben Dutzend einsamer Seelen. In Max Flasche war nur noch eine Pfütze.

Ein untersetzter Kerl stürmte auf Max zu. Er wischte sich die wenigen Haare zurecht. Dann legte er seine wurstigen Finger auf Max Schulter.

„Scheiße, tut mir so verdammt leid,“ sagte der Kerl.

Max fand langsam aus dem Nichts zurück. Er blickte dem Kerl ins Gesicht.

„Sebi, schön dich zu sehen.“

Das Gesagte war völlig emotionslos.

„Habe gleich mit meinem Meister geredet. Wollte schon früher kommen. Aber der Arsch hat nur seine Stückzahlen im Kopf. Kein Mitgefühl, der Wichser,“ meinte Sebi.

Er schlug dabei mit der Faust auf den Eichentisch. Die fast leere Flasche Tequila taumelte von links nach rechts. Fand dann aber wieder das Gleichgewicht.

„Jetzt bist du ja hier.“

Wieder kam der Kellner. Sebi bestellte zwei Bier. Er starrte Max an.

„Wie ist es passiert?“ brach er das Schweigen.

„Ist durchs Fenster geflogen. Keine Qualen, nur viel Blut, versicherte mir die Kommissarin,“ antwortete Max.

„Wie einfühlsam von der Bullen-Schlampe,“ meinte Sebi. Er schüttelte den Kopf.

„Was soll sie sonst sagen?“

„Das es ihr leid tut.“

„Bringt Vanessa auch nicht zurück.“

Der Kellner servierte die Biere.

„Kann ich abziehen?“

Sebi kramte zornig nach seinem Portmonee.

„Die Flasche geht aufs Haus,“ fügte der Kellner an.

Sebi zahlte die Biere. Trinkgeld gab es nicht.

„Das Pils hätten die auch ruhig springen lassen können. So oft wie Vanessa und du hier wart.“

Max blickte die Wand an. Sein Augen fokussierten im Wechsel ein Porträt eines Typens mit Hornbrille und eine irische Whiskeywerbung aus Emaille. Sebi klopfte nervös mit den Fingern auf den Tisch. Spielte mit dem Bierdeckel. Wippte mit seinem Bein.

„Die Stille ist zum kotzen,“ warf Sebi ein.

„Läuft doch Musik.“

„Ich muss andauernd an deine Vanessa denken. Die Arme, wie sie dagelegen haben muss.“

„Wie ich sagte, sie war sofort tot.“

„Die ist doch immer so langsam gefahren. Die muss doch einer geschnitten haben. Bestimmt so ein Wichser, der sich verpisst hat,“ behauptete Sebi.

„Schon mal rausgeschaut? Es liegt überall Laub. Sie ist gerutscht, hat die Kontrolle über den Wagen verloren. Dann stand da die Laterne,“ erklärte Max. 

„So hat dir das die Bullen-Schlampe erzählt?“

„Stand so online in den Nachrichten.“

„Der Lügenpresse glaubst du?“

Max sah Sebi zweifelnd an.

„Die verbreiten doch nur Müll. Alles verkackte Lügen. An deiner Stelle hätte ich schon längst bei den Bullen auf der Matte gestanden und hätte alle Berichte und Fotos eingefordert. Hast du dir denn wenigstens Vanessa angeschaut?“

„Die ist noch in der Pathologie.“

„Und? Du bist Bestatter! Nichts wie hin. Du hast doch nen Schlüssel,“ brüllte Sebi. Die wenigen Gäste drehten sich bereits um.

„Was würde es bringen?“

„Du könntest dich vergewissern, dass die Bullen die Wahrheit sagen. Die erzählen doch viel, wenn der Tag lang ist. Und bei aller Liebe, die Sache mit der Straße will ich nicht glauben.“

Max schüttelte den Kopf.

„Da soll doch nur wieder ne Bonze geschützt werden, die zugekokst die Karre von Vanessa geschnitten hat. Morgen nehmen wir uns gleich ihren Wagen vor und jetzt fahren wir noch in die Pathologie. Nicht das irgendein Schwein an ihr herumschneiden kann. Ich hab da ein ganz beschissenes Gefühl. Vanessa verliert doch nicht einfach die Kontrolle über ihr Auto. Verarschen kann ich mich selbst.“

Max nahm das Bier auf ex und stand auf.

„Dann los,“ forderte er.

Sebi raste durch die Straßen der Stadt. Sein dreier Golf glitt durch die Kurven wie bei einer wilden Verfolgungsjagd. Vorm Krankenhaus hielten sie quietschend an.

Die beiden streiften durch die Dunkelheit. Vorbei am Hauptgebäude und der Notfallaufnahme. Wieder regnete es. Laub viel von den Bäumen. Blätter wehten von A nach B.

„Hast du das gehört?“ wollte Sebi wissen und deutete in ein Gebüsch. Es raschelte.

„Nur der Wind,“ meinte Max.

„Ich könnte schwören, wir werden verfolgt.“

„Es ist Herbst,“ sagte Max und nahm den Schlüssel der Pathologie von seinem Bund. Er steckte ihn ins Schloss.

Der Bewegungsmelder schenkte sofort Licht. Sebi betrachtete aufmerksam die von Neonröhren erhellten Kacheln. Max schritt routiniert den langen Flur entlang. Er öffnete eine weitere Tür zu einem Raum mit einem metallenen Tisch in der Mitte, um darauf vor einem metallenen Schrank die austauschbaren Karten zu lesen.

„Das stinkt hier,“ behauptete Sebi. Er war bemüht, nichts zu berühren.

„Desinfektionsmittel. Zieh mir mal den Wagen heran,“ forderte Max.

„Aber…“

„Links neben dir sind Handschuhe.“

Es klatschte. Dann polterten Rollen über die Kacheln. Max las in krickliger Handschrift den Namen seiner Freundin.

Er hielt den Griff der metallenen Kammer fest. Es kühlte, dass es schmerzte.

Vorsichtig schob Sebi den fahrbaren Tisch unter die Kammer.

Max atmete durch. Dann öffnete er das Fach. Er las noch einmal Vanessa am Zettel, welcher am Fuß befestigt war. Dann zog er den Leichnam heraus. Vanessa befand sich mit einem Zug im Zentrum des Tisches.

„Scheiße,“ sagte Sebi. Er würgte.

Max strich dem Leichnam die Haare von der Stirn, betastete die Augenlider, glitt zwischen den Brüsten entlang einer Naht zum Bauchnabel. Es war Vanessa. Da bestand kein Zweifel.

„Was soll die Naht?“ murmelt Max.

„Was soll die Naht?“ wiederholte Sebi. Er stand kreidebleich hinter Max.

Max wischte über die schlechte Naht. Er stürmte durch den Raum. Er fand eine Schere und schnitt die Fäden auf.

Vorsichtig öffnete er den Bauch. Hielt die Haut auseinander. Er betrachtete die Organe.

Sebi würgte wieder.

„Atme nicht ein,“ riet Max. Er schaute skeptisch in das Innere seiner Freundin.

„Was soll das?“ wollte Sebi wissen.

„Das Herz fehlt,“ stellte Max fest.

„Wie?“

„War sie Spenderin? Ihr Herz ist weg. Ihr Herz! Vanessas Herz!“

Dann presste Max Vanessas Bauch zusammen. Schnappte nach Sebis Händen, sodass dieser den Griff übernehmen konnte. Max nähte seine Vanessa wieder zusammen.

Sebi schwitze nach dem letzten Knoten. Max sah emotionslos auf den Leichnam. Dann küsste er Vanessa auf die Stirn.

„Dein Herz. Dein Herz schlägt weiter,“ sagte Max.

Er sank zu  Boden. Er griff sich an seine Brust. Es fühlte sich an, als hätte man auch sein Herz herausgerissen.