Alle Lachen

„Ich werde Astronaut,“ behauptet Tom.

„Du bist Mitte dreißig. Wie willst du das anstellen? Willst du erst Zauberer werden?“ werfe ich ihm entgegen.

Ich kann mich vor Lachen kaum halten. Ich kugele mich. Ich stoße die Flasche Veltins um.

„Du wirst schon sehen. Ihr werdet alle sehen,“ meint Tom. Er starrt zum dicken Mond hinauf. Es fehlt nur noch, dass er wie ein Wolf heult.

Tom der Tagträumer. Tom der Idealist. Tom ohne Plan.

Tom wohnt wieder bei Mutti. Kamilla hat ihn rausgeworfen. Verständlich. Tom spielt lieber Playstation als arbeiten zu gehen.

Okay, dafür kann ich Tom keinen Vorwurf machen. Würde ich auch lieber.

Aber zwischen Wollen und Machen liegen bei mir noch Welten. Deshalb habe ich meine Jenny und nen Job. Und Tom wohnt wieder in seinem Kinderzimmer bei Mami. Zwischen Yps-Heften, Playboys und Konsolen.

Höhenflug

Neun Monate sind vergangen. Tom ist kein Astronaut. Aber ich habe Jenny geschwängert. Deshalb bin ich mit Tom wieder unterwegs. Wir sitzen vor der Wunderbar. Wir trinken Long Island Ice Tea. Babypinkeln. Mein kleiner heißt Moritz. Wollte Jenny so.

Lukas ist auch da. Er raucht seine Palm Mall. Neben ihm seine Auszubildene. Irgendeine Charlene oder so. Sie schlabbert an seinem Ohr. Die Azubinen sabbern ihn immer voll. So ist das, wenn man selbstständig ist.

„Was macht denn deine Reise durchs Universum?“ will Lukas wissen.

Ich konnte meine Fresse nicht halten. Ich musste Toms Spinnerei allen erzählen.

„In Planung,“ meint Tom.

„Geheimprojekt, wa?“ fängt Lukas an zu sticheln.

Die beiden können sich schon lange nicht mehr ab. Zwei verschiedene Welten. Die Jugendfreundschaft Geschichte. Ich bin deren Bindeglied. Sonst wären die sich egal. So verachten sie sich.

„Komm mit. Dann wird dir das Lachen vergehen,“ meint Tom.

Er steht auf. Wir zahlen. Wir folgen Tom. Er stiefelt durch die Stadt. Tom hält ein Taxi an. Wir steigen ein. Wir fahren ins Industriegebiet. Da wo die Mietgaragen sind.

„Dauert nicht lang,“ sagt Tom zum Taxifahrer.

Dann gehen wir durch die Garagen. An 34 halten wir an. Tom zieht das Tor hoch. Tom macht das Licht an. Da steht etwas. Halb Rakete. Halb Raumschiff. Irgendetwas aus Metall. Drinnen viel Computerkrimskrams. Sieht aus wie ein Spielzeug.

„Hast auf dem Schützenfest geklaut,“ behauptet Lukas. Seine Charlene lacht und küsst ihn.

„Damit werde ich Astronaut. Das fliegt bald,“ meint Tom.

„Ja, auf den Schrottplatz,“ meint Lukas. Lachen. Wieder küsst ihn seine Charlene.

Ich lache nicht mit. Es ist traurig. Tom verliert langsam den Verstand. Tom hat nichts. Tom nähert sich der 40. Dabei keine Frau. Keinen Job. Nur seine Mutti. Und die paar Kröten, die ihm sein Alter vermacht hat. Und Tom? Er baut das Erbe zu Müll zusammen.

Wir fahren mit dem Taxi nach Braunschweig. In irgendeiner Bar besaufen wir uns mit Tequila. Auf Moritz.

Absturz

„Das war eine scheiß Idee,“ sage ich zu Tom.

Ich halte seine Hand. Er wird mir nicht antworten. Er liegt im Koma. Noch. Laut seiner Mutti wollen sie ihn morgen aufwecken. Dann wird man sehen, ob er noch alle Latten am Zaun hat. Obwohl, wer mit einem selbstgebauten Raumschiff auf die Autobahn fährt, um ausreichend Anlauf für einen Start zu bekommen und dann unter einen Sattelschlepper gerät, der hat definitiv einen an der Waffel.

Tom sieht auch echt mies aus. Sein Gesicht ist blau. Er wurde überall genäht. Aber er lächelt. Er sieht dann doch irgendwie wieder zufrieden aus.

Eine Krankenschwester kommt herein. Sie erzählt mir irgendetwas. Ich höre ihr nicht zu.

„Ich werde jetzt los,“ sage ich mehr zu ihr als zu Tom.

Und dann bin ich auch schon weg. Jenny hat Moritz und mich zu nem Babyschwimmkurs angemeldet. Ist jetzt schon das dritte mal. Moritz hasst das Wasser und ich die anderen Väter. Die fühlen sich alle so super. Dabei seid ihr auch nur scheiße.

Vom Erdboden verschwunden

Jenny ist aufgeregt. Die Gäste kommen. Ihre Eltern. Meine Eltern. Ihre 3 Brüder. Meine Schwester hat abgesagt. Ist auf Mallorca. Und dazu noch Freunde. Die Mutti von Tom auch.

Sie klingelt als erstes. Sie mag Moritz. Sie schenkt ihm immer etwas zu Geburtstagen, Weihnachten und mal zwischendurch.

„Ist seit gestern drei Jahre her,“ erinnert Toms Mutti an sein Verschwinden.

Ich nehme sie in den Arm.

„Irgendwann findet man ihn. Ganz bestimmt,“ meine ich.

Ich möchte mir gar nicht ausmalen wie er jetzt aussehen mag oder besser seine Überreste. Ich habe erst gestern nen Artikel auf spiegel.de über so einen Clown gelesen, der sich vor zwanzig Jahren im Wald erhängt hat. Der ist auf nen Baum geklettert und hat den Strick so in der Baumkrone angebracht, dass ihn niemand finden konnte. Erst als der Baum gefällt wurde, hat man sich über das Skelett gewundert. So wird man auch Tom finden. Wer weiß, was er sich ausgedacht hat.

„Er wird zurückkommen. Sie werden ihn zurückbringen. Die haben ihn mitgenommen. Ganz sicher. Die Außerirdischen. Tom hatte so gute Pläne für ein Raumschiff. Das hat hier nur niemand verstanden. Aber die Außerirdischen, die schon,“ sagt Toms Mutti. Wir setzen uns an den Tisch. Moritz wartet bereits, dass er den Kuchen anschneiden darf. Es ist eine Rakete. Moritz möchte eines Tages zum Mars reisen. Jenny liebt den Gedanken. Sie wäre gern die Mama eines Astronauten.