Der Coup

Wir also raus aus dieser Wohnung. Wir sind Hannes, Wurm und ich. Hannes ist schon das Treppenhaus herunter als es von hinten rattert. Wurm schreit. Auch ich schreie. Wir können jetzt gar nicht schnell genug. Dann sind wir auch unten. Da rüttelt Hannes wie ein Bekloppter an der Tür.

„Scheiße,“ schaut er uns panisch an.

Und das ist das Problem. Er ist in Panik. Wurm zum Glück nicht. Wurm zum Glück nie. Wurm zieht einmal kräftig und wir stehen draußen. Japsen nach Luft und setzen zum Sprint an. Wieder rattert es hinter uns.

„Das ist ein Maschinengewehr,“ behauptet Hannes.

Ich kann es schwer glauben. Wer ist denn so gestört und ballert mit einem Maschinengewehr in einer Wohnsiedlung? In einem Block?

Egal. Es klingt schwer nach Krieg. Es klingt schwer nach jemanden, der durchdreht. Nach jemanden, der uns jagt.

Schweiß läuft uns allen von der Stirn. Wir sind keine Sportskanonen. Wir sind versoffene Taugenichtse.

In einer vollgekritzelten Unterführung bleiben wir stehen.

„Hast du es?“ will Hannes wissen.

Ob er Wurm oder mich anspricht ist gerade unklar. Hannes schaut auf den Boden. Hannes hält sich die Knie. Hannes wirkt, als würde er gleich seine Gedärme auskotzen wollen.

Wurm zieht etwas aus seiner Tasche. Es glänzt silbern. Er holt noch mehr heraus. Es glänzt silbern und golden.

„Wunderschön,“ murmele ich.

„Ja,“ fügen beide zeitgleich an.

Es sind eine Handvoll Münzen. Die sollen alle aus echtem Silber und Gold sein. Darauf eigenartige Symbole. Die sich angenehm erfühlen lassen. Selbst Trottel wie wir wissen, dass wir Historisches in unseren Händen halten.

Wir klopfen uns auf die Schulter. Knuffen uns. Springen auf und ab. Infantile Freude. Dann gehen wir aus der Unterführungen als wäre nichts gewesen. Es fängt an zu regnen. Kapuzen übergezogen. Ab in die Innenstadt. Rein in den ersten Bus. Es riecht nach nassem Hund. Da sind schon Köter wie wir drinnen. Ähnlich vom Leben betrogen. Aber wir gehören bald nicht mehr dazu. Wir nicht mehr. Wir können uns verpissen.

„Kalifornien,“ sage ich zu Hannes.

„Kalifornien,“ spricht er mir nach.

„Kalifornien,“ meint auch Wurm.

Raus aus dem Bus und rein in den Regen.

„Hast du die noch?“ will Hannes von Wurm wissen.

„Türlich,“ antwortet der.

„Zeig mal,“ fordert Hannes.

Wurm kramt wieder. Wurm zeigt ganz kurz. Dann sind die Münzen wieder in seinen Taschen verschwunden. Nicht, dass uns jemand beobachtet.

„Ist das geil,“ füge ich an.

Weiter im Regen. Vorbei am alten Hertie-Gebäude. Dann stehen da drei Kerle. Sehen finster aus. Sehen mies gelaunt aus. Sehen aus wie Kleiderschränke.

„Mitkommen,“ meint einer.

Mir bleibt das Herz stehen. Wir kennen die Typen nicht. Sie machen nicht den Eindruck, uns helfen zu wollen. Sie wirken mehr, als würden sie uns etwas wegnehmen wollen.

Wir haben keine andere Möglichkeit als zu gehorchen. Schon stehen wir in einem Friseursalon. So ein türkischer. Wo keine Katzen arbeiten. Nur Typen mit gezupften Augenbrauen und symmetrischen Frisuren. So ein gelackter Typ schließt ab. Dann verschwinden alle Friseure und lassen uns mit den Kleiderschränken allein.

„Ihr habt was,“ sagt einer.

„Was haben wir?“ meint Hannes.

Schon hat er einen Schlag in den Magen kassiert.

„Keine Spielchen,“ meint ein anderer.

Ich schaue zu Hannes. Der krümmt sich noch. Hält sich den Bauch. Dann ein Blick zu Wurm. Der bewegt sich blitzartig. Greift sich eine Schere und sticht sie nem Schrank in den Oberschenkel. Ich schnappe mir nen Stuhl und schleudere den durch die Scheibe. Risse und ein kleines Loch. Wurm nimmt Anlauf. Er springt mit dem Rücken zuerst durch die Scheibe. Die ist jetzt ganz gerissen. Ich laufe schnell hinterher. Renne. Sehe nur noch Wurm vor mir. Der keucht auch. Ich höre ihn. Wir keuchen abwechselnd. Wir stolpern in einen Ein-Euro-Laden.

„Wo ist Hannes?“ will ich wissen.

„Scheiße,“ meint Wurm.

Jetzt knallt es. Ganz viele Ständer fallen um. Jemand liegt darauf. Es ist Hannes. Blut läuft ihm über die Stirn. Verkäufer laufen auf ihn zu. Und ein Kerl mit der Aufschrift Security. Wir jetzt auch. Wir schubsen ein paar weg. Ziehen Hannes hoch und laufen wieder. Wir sind wieder vollzählig.

Endlich die Spielothek. Wir huschen rein. Die Frau im Wechselbüro mustert uns.

„Was hast du da in deinen Haaren? Sieht aus wie Diamanten,“ sagt sie zu Wurm. Sie meint das Glas der Scheibe.

„Ist in.“

Sie macht keine Anstalten. Sie lässt uns rein. Wir gehen zu nem Pokerautomaten. Da sitzt ein alter Mann. Herbert. Er riecht muffig. Seine Fingernägel sind gelb. Er könnte auch ein sprechender Aschenbecher sein.

Wurm legt ihm die Münzen vor. Er schaut. Er fühlt. Dann steckt er ein. Er tippt mit seinem langen Fingernagel auf den Spielstand. 67.000 Euro steht da. Dann verschwindet Herbert.

„Auszahlen, auszahlen!“ schreit Hannes.

Ich drücke und der Automat spuckt uns Scheine entgegen. Es sind viele Scheine. Zu viele. Also keine Echten. So Gewinnscheine. Die müssen wir jetzt erst bei der Tante vom Wechselbüro eintauschen. Die wird Augen machen.

Macht sie dann auch.

„Kann ich euch nicht in bar geben. Ist Geschäftsrichtlinie,“ sagt sie.

„Dann bei jedem ein Drittel,“ schlägt Hannes vor.

„Geht nicht. Ein Gewinn ist auch ein Konto. Geldwäsche und so,“ meint die Tante.

„Wir nehmen Wurm,“ beschließe ich.

Wurm kramt seine Girokarte raus. Er zittert. So viel Geld wurde noch nie auf sein Konto transferiert.

„Wie lange wird es dauern?“ fragt Hannes.

„In der Regel ist die Kohle nach 3 Werktagen drauf,“ klärt die Tante auf.

Ist drauf

3 Tage können verdammt lang sein. Vor allem, wenn man sich die Zeit mit Speed als Droge und Speed als Film vertreibt. Hannes krabbelt pausenlos zum Balkon. Dann geht er ganz langsam nach oben und schaut nach irgendetwas. Wie ein schlechter Soldat. Den hätte man sofort weggeballert.

„Warum bist du so ein Psycho?“ will Wurm wissen.

„Weil es ein verfickter Nazischatz war. Wer weiß, wer uns hinterher ist,“ meint Hannes.

„Keinen Plan. Haben wir ja nicht mehr,“ sage ich.

„Das glaubt uns kein Schwein,“ meint Hannes.

Er hat recht und irgendwie ist mir deshalb bange. Also ein bisschen Speed. Weg sind die Sorgen.

„Hier,“ sage ich zu Hannes.

Er gönnt sich auch.

„Besser?“ hinterfrage ich.

„Viel besser,“ meint Hannes.

„Kalifornien,“ stöhnt Wurm.

„Ja, bald sind wir da,“ füge ich an.

Unsere Koffer sind bereits gepackt. Sie stehen in der Wohnung. Sie sind neben dem alten Röhrenfernseher, dem DVD Player inklusive Speed plus Bonusmaterial und den drei Matratzen das Einzige, was noch in der Bude ist.

Und unsere WG ist zum nächsten Monat gekündigt. Wir fliegen nach Kalifornien. Wir kommen nie wieder. Die Flüge sind gebucht. Offiziell auch welche für zurück. Aber die werden wir nicht nehmen. Die sind nur, dass wir zu den Amis dürfen. Das die keinen Verdacht schöpfen. Wir werden dableiben. Die werden uns lieben. Deutsche Wurst und deutsches Bier und deutsche Typen. Das wird unser Konzept sein. Drei Monate buckeln und dann lassen wir andere für uns knechten. Mexikaner oder so. Der Plan ist totsicher.

„Und die Weiber,“ meint Hannes.

„Und die Sonne,“ füge ich an.

„Und das Gras,“ meint Wurm.

Der Wecker am Smartphone tutet auf. Wie jede Stunde. Wurm checkt.

„Ist drauf,“ sagt er. Wir springen auf und ab. Er drückt auf sein Smartphone. Er wischt.

„Weg,“ sagt er.

Hannes und ich schnappen unsere Smartphone. Alle bei der gleichen Bank. Alle die gleiche App. Zum Glück.

„Ist drauf,“ meine ich.

„Bei mir auch, sagt Hannes.

Und weg sind wir. Raus aus der Stadt. Zu heißes Pflaster. Deshalb der Flug von München. Deshalb die zwei Tage Hotel bis unser Flieger abhebt.

Wir sitzen im Taxi. Wir singen diesen beschissenen Titelsong von dieser beschissenen Serie.

„Califonia, here we come!“

Plötzlich knallt es. Ganz laut. Es ist der Reifen des Taxis.

„Scheiße,“ brüllt der Fahrer. Er rollt an den Straßenrand. Wir sind mitten auf der Autobahn.

Etwas rammt uns von hinten. Ein schwarzer Jeep. Etwas steht vor uns. Ein weiteres schwarzer Jeep. Typen stürmen aus den Karren. Sie ziehen uns heraus. Und das alles, während neben uns LKWs ballern. Dann Sirenen. Dann Blaulicht. Dann Schüsse.

Was ist das für eine Scheiße? Wo sind wir da reingeraten? Was haben wir uns nur gedacht?  

Nicht viel. Das ist nicht unsere Kernkompetenz. Die besteht aus Drogen nehmen, von Ärschen träumen und auf schwachsinnige Ideen kommen.

Jetzt herrscht Chaos. Bullen stehen da. Die mit den schwarzen Jeeps stehen da. Alle haben Waffen und alle schießen. Auf uns nimmt keiner mehr Rücksicht. Aber wir leben. Ich finde mich auf dem Boden zwischen Hannes und Wurm. Wurm grinst.

„Hell Yeah,“ sagt er.

Dann robbt er sich davon. Wir hinterher. Unter so eine Leitplanke gekrabbelt und den Abhang runter gerutscht. Hochgeguckt. Niemand hinter uns. Und Beine in die Hand.

„Und jetzt?“ fragt Hannes als wir in irgendeinem scheiß Wald zwischen Bäumen stehen, die ich namentlich nicht kenne.

„Habt ihr eure Portemonnaies?“ will Wurm wissen.

Wir wühlen in unseren Hosentasche.

„Scheiße, ja!“ sage ich. Auch Hannes zeigt seins.

„Dann haben wir Kohle.“

Wir marschieren. Raus aus dem Wald. Dann auf nem Feldweg. Dann sehen wir Lichter. Nicht viele. Irgendein Dorf. Schon etwas größer. Wir kommen näher. Wir haben Hunger. Wir haben Durst. Wir stinken. Etwas riecht nach Essen. „Zum deutschen Hof“ steht an einem Haus. Deutsche Kost und Hotel. Wir gehen rein.

Wurzeln schlagen

Mein Kalifornien heißt jetzt Kütdorf. Liegt irgendwo zwischen Wolfsburg und München. Gerade ist es ein wenig wie Kalifornien. Die Hitze brennt mir fast den Schädel weg und der Strand meines Forellen-Puffs ist weiß. Kinder bauen hier Burgen. Die Kinder der Angler. Der Daddys, die von ihren Alten fliehen, um beim Forellen-Killen ein paar Dosen Bier ins Hirn zu schütten.

Ich habe Kütdorf seit dem Jägerschnitzel nach dem Überfall auf der Autobahn nicht mehr verlassen. Zu gefährlich. Hier kennt uns keiner. Oder kannte. Ich bin jetzt der Forellen-Lude. Von meiner Kohle habe ich mich hier eingekauft. Und nach drei Jahren gehört mir der ganze Teich. Läuft gut. Im Frühling und Herbst sowieso. Im Winter mache ich Eisangeln oder Fischen mit Glühwein. Im Sommer darf man in nem abgetrennten Gebiet raus mit dem Tretboot. Die Dorfjugend kifft da ungestört. Und die Forellen können ungestört ficken. Win-Win für alle.

Hannes hat jetzt Zwillinge. Ist mit so ner Dorftussie nach nem halben Jahr in der Kiste gelandet. Und Volltreffer. Jetzt sind die beiden verheiratet. Er hat sich im „Deutschen Hof“ eingekauft. Versäuft aber selbst mehr als er einnimmt. Deshalb kriegt seine Alte hier und da ne Ohrfeige. Ich halte Abstand von Hannes. Er ist ein Pulverfass.

Wurm hat es hier nicht lange ausgehalten. Er wollte es regeln für uns. Damit wir alle nach Kalifornien können.

Kaum war er wieder in der Stadt, waren da auch schon wieder Typen. Die haben ihm den Schwanz abgeschnitten und Wurm dann schwanzlos von der Bananenbrücke baumeln lassen. Ein Zeichen für jeden, dass wir die falschen abgezogen hatten.

Unsere Story war da noch einmal in den Zeitungen. Nur keine Namen. Nur den von Wurm. Meine Leute werden eins und eins zusammengezählt haben und wissen, dass sie mich nie mehr wieder sehen.

Hier in Kütdorf bin ich sicher. Hier wird mich niemand über den Haufen schießen.

Die Bullen waren einmal da. Haben ein paar Fragen gestellt. Wollten wissen, ob ich Wurm kannte. Ob ich diesen Herbert kennen würde. Beides verneinte ich. Die haben mir geglaubt. Ein Besitzer von nem Forellen-Teich ist glaubwürdig.

Von Herbert habe ich dann mal im Netz gelesen. War mir nicht klar, dass er ein Fascho war. Schon in der zweiten Generation. Sein Vater war in der SS. Also der echten. Der von Hitler. Herbert träumte, durch diese geklauten Münzen könne man Hitler und alle gefallenen Nazischweine zurückholen. Dazu müssen man nur alle haben und dann in irgendeiner Burg im Kyffhäuser ein Feuer machen. Das machte Herbert dann auch. Ging mächtig in die Hose. Er und fünf seiner Nazikumpels sind dabei verreckt. Alle verbrannt.

Ich bleibe hier. Ein Forellenteich irgendwo im nichts. Und Bier. Ausreichend Bier. Das ist mein German Dream.