Mama nannte mich immer nen Rumtreiber. Wenn sie es gut meinte, schob sie nen kleinen davor. War sie zornig, blieb es aus.

Es blieb oft aus. Mama war sehr oft zornig mit mir. Vor allem, wenn sie vom Alten kassiert hatte. Und das passierte regelmäßig.

Die Gründe? Vielfältig. Die Eintracht hat verloren. Der Chef hat ne Standpauke gehalten. Meine Schwester oder ich haben ne 5 geschrieben und so weiter. Einen Grund gab es für den Alten immer. Denn er hasste das Leben. Nicht das Leben an sich. Das Leben, was er führen musste. Also mit Mama und Arbeit und so. Ob er uns hasste? Keine Ahnung.

Uns schlug er nie. Uns ließ er in Ruhe. Ich weiß nicht einmal, ob er mit uns redete. Wir waren ihm egal.

Jetzt ist der Alte schon lange tot. Und meine Schwester auch schon. Sie genau 12 Jahre. Er dann über zwanzig. Meine Schwester war 16. Da hat es ihr gereicht. Da hatte sie eins uns eins zusammengezählt. Da wusste sie, wenn Mama auf die Fresse von Papa bekommt, bekommen die Kinder auf die Fresse von Mama.

Und da hat meine Schwester einfach ne Knarre gezogen. Hatte sie von diesen Arabern aus der Schule für nen Blowjob und Arschficken bekommen. Und dann hat sie dem Alten ne Kugel in den Hinterkopf gejagt als er wieder auf Mama loswollte.

Der Alte war sofort tot. Und Mama sofort total wütend. Sie erschlug fast meine Schwester. Fasste sich dann aber und rief nen Krankenwagen. Meine Mama hatte noch die Hoffnung, dass der Alte leben könnte.

Es war die letzte Tracht Prügel für meine Schwester. Ihr Plan ging auf.

Sie kam hinter Gitter. Irgendeine Anstalt für Jugendliche. Da ging es auch noch etwas mit ihr.

Aber dann im richtigen Knast machte es knack in ihrer Rübe. Bei jedem Besuch fehlte da was. Vor allem Würde und Hoffnung. Dann hat sie es für sich beendet. Mit ihrem Schlüpfer hat sie sich erdrosselt. Irgendwie am Bettgestell. Wie das klappen konnte, ist mir immer noch ein Rätsel.

Mama hat mich weiter verprügelt. Sie versucht es auch heute noch. Deshalb treibe ich mich so viel rum. Deshalb habe ich mich auch so viel rumgetrieben. Nicht zu Hause = keine Schläge.

Ich bin jetzt über 30. Nie imstande gewesen von zu Hause wegzukommen. Ein paar Mal hatte ich überlegt. Aber die Mama allein lassen? Nein. Sie ist ja meine Mama und sie hat ihre Gründe für die Schläge. Und manchmal bin ich auch echt widerlich. Meistens habe ich Schläge verdient. Es ist schon wie ein Ritual.

Heute tut es nicht mehr weh. Ich bin zu stark. Und Mama ist zu schwach geworden.

Damals durfte mich kein Arzt sehen. Denen hat Mama immer von Treppensturz erzählt. Ich Footballspieler werden wolle. Und noch weitere schlaue Lügen.

Ich sitze gerade im Alt Berlin. Es ist Samstag. Keiner arbeitet. Alle wollen saufen. Helene singt aus den Boxen. Ich schaue zur Tanzfläche. Sie schwingen ihre Hüften. Diese leckeren Mädchen. Die sind so einfach. So fröhlich. So ehrlich. So wie Helene. Ich würde die gern umarmen. An ihnen riechen. Sie schmecken. Sie halten. Vor allem die Blonden. Die mit den ganz hellen Haaren und den ganz hellen Gesichtern.

In meiner Hand ist nur dieses Bier. Sie nennen es blond. Dabei ist es gelb und der Schaum weiß. Und es schmeckt bitter.

Frauen schmecken nicht bitter. Das weiß ich von Diana. Die ist nur leider nicht blond. Auch wenn sie für mich ne Perücke aufsetzt. Kostet mich auch nur nen 20er mehr. Die schmeckt so ein bisschen wie Erdnussbutter. Die gesüßte. Süß und salzig. Oh wie ich es liebe, wenn ich Diana ablecken darf. Der 50er ist es wert. Ich will gar nicht in sie eindringen. Ich will sie nur ablecken und schnüffeln. Für nen 100er kann ich ihren Schlüpfer haben. Einer hat noch 2 Wochen nach ihr gerochen.

Wie es wohl mit einer von diesen kleinen Blonden wäre? Die sind gar nicht so jung. Das ist nicht krank. Die sind vielleicht 10 Jahre jünger als ich. Sind bestimmt so Studentinnen. So Schlaue. Vielleicht interessieren die sich für so nen Erfahrenen?

Ich trinke weiter. Ich denke an nichts Besonderes. Ich denke nie an etwas Besonderes. Irgendwie nur an das Gerade. Damit komm ich ganz gut klar. Denn gestern kann man nicht mehr ändern und von morgen weiß ich nichts. Deshalb ist es besser nicht zu denken. Denn beim Denken verfällt man ja meistens in gestern oder morgen.

Es riecht nach klebrigen Bier und Schweiß. Ich mag das. Es ist so lebendig. Die Blonden machen eine Pause. Sie stehen gegenüber an der Theke. Eine bemerkt, dass ich sie ansehe. Sie sieht zurück. Und dann auf den Boden.

Die trinken Schnaps. Die sind schon angeschossen. Dann tanzen sie weiter. Nicht mehr so steif. Sie sind jetzt locker. Sie ziehen andere Kerle an. Die sind schon zu locker. Zu besoffen. Die werden abgewiesen. Deshalb spreche ich niemanden an. Ich werde immer abgewiesen. Ich wurde immer abgewiesen. In der Schule hat mich niemand gewählt.

Ein Schluck Bier um nicht an das Vergangene zu denken. Ein weiterer, um im Gerade zu sein. Die Blonden trinken wieder Schnaps. Und noch einen. Eine übergibt sich fast. Dann stürmt sie raus. Die anderen nicht hinterher, sondern auf die Tanzfläche.

Ich muss ihr hinterher. Sie geht krumm. Sie wird angesehen. Sie sucht etwas. Sie will kotzen. Aber nicht vor irgendeinen Laden. Und auch nicht auf die Straßenmitte. Dann biegt sie ab. So ein kleiner Park. So mit wenigen Bäumen. Und etwas Büschen. Dahinter verschwindet sie. Ich kann nicht anders. Ich muss ihr folgen.

Ich sehe sie kotzen. Ein Strahl. Sie würgt. Sie sieht mich. Ihre Augen stehen unter Tränen. Unser Blickwechsel ist endlos. Die Zeit steht still.

Jetzt brennt es in meinen Augen.

„Vergewaltiger!“ schreit sie.

Ich falle auf den Boden. Gras. Es riecht nach Pisse. Schläge auf den Kopf. Tritte in den Magen.

„Arschloch,“ brüllt ne tiefe Männerstimme. Andere wiederholen andere böse Worte.

„Sollen wir die Bullen rufen?“ meint jemand.

„Nein, der hat nur geglotzt,“ antwortet eine.

„Nen Spanner,“ meint jemand. Und tritt noch einmal zu.

Es sind Schmerzen. Wie früher bei Mama. Wie als Mama noch kräftig war. Und ich schwach. Ich schmecke Blut in meinem Mund. Ich schmecke Vergangenheit. Ich schmecke Nostalgie. Irgendwie Geborgenheit. Gerade angenehm.