Das stört

18:47 Uhr. Meine Tiefkühlpizza dampft noch. Bei Netflix kann ich mich nicht zwischen einem Ich-ballere-alle-tot-weil-mein-Leben-so-unfair-ist-Film und einer Koks-Serie entscheiden. Es klingelt. Die Entscheidung wird vertagt. Auch die Möglichkeit, sich an der heißen Pizza den Gaumen zu verbrennen.

Will ich überhaupt aufmachen? Ist es wieder so ein Amazontyp? Hat Claudia wieder irgendetwas auf ihre alte Adresse bestellt?

Ich jedenfalls nicht. Muss ich mit ihr unbedingt klären, wenn ich die Kleine am Wochenende abhole.

Oder ist es mein Nachbar, weil der wieder irgendetwas will? Sucht selbst ein Paket? Kriegt kein warmes Wasser? Oder fragt nach Zucker?

Oder doch die Zeugen? Quatschen mich voll von Erlösung? Vom guten Leben?

Blick durch den Spion. Der Nachbar und die Zeugen fallen raus. Ich sehe da nen Typen. So ein Araber. Sieht ein bisschen durchgedreht aus. Also doch Amazon.

Ich öffne.

„Vincent Pander?“ fragt der mich.

„Ja,“ antworte ich.

Und bähm. Habe ich seine Faust in meiner Fresse.

„Was soll die Scheiße?“ fluche ich. Ich halte mir mein Gesicht. Dann kriege ich das Knie von dem Typen in den Magen. Er schubst mich zurück in die Wohnung.

„Schreib keine Scheiße mehr, verstanden?“ wirft er mir entgegen.

„Ja,“ stammele ich. Obwohl ich keine Ahnung habe, was er meint.

Er spuckt mich an. Er tritt mir in die Seite. Ich ringe nach Luft.

„Motherfucker,“ brüllt der Typ durch das Treppenhaus.

„Motherfucker,“ wiederholt eine Stimme. Noch ein Kerl, den ich nicht wahrgenommen habe.

Dann tippeln Füße die Treppen herunter. Ich ziehe mich hoch. Ich stolpere ins Treppenhaus. Ich schaue herunter. Die sind schon verschwunden. Ich halte mir den Bauch. Dann die Seite. Dann das Gesicht. Was sollte das? Was wollten die? Und warum?  

Falscher Film

„Da musst du zu den Bullen,“ sagt Andy. Er ist besorgt. Er ist immer besorgt. Er ist ein Weichei.

„Und was soll ich denen sagen?“ frage ich.

„Was passiert ist,“ mein Andy.

„Die lachen mich ja aus,“ sage ich. Mich lachen gerade alle aus. Oder schauen mich komisch an. Kann ich verstehen. Meine Fresse ist grün und blau. Der hat mich voll getroffen. Blaue Augen und geschwollene Nase.

„Irgendetwas musst du jedenfalls machen. Was ist, wenn die wieder kommen?“

„Vielleicht war es auch ne Verwechslung?“ werfe ich ein.

„Die kennen deinen Namen. Die wissen, dass du schreibst,“ erinnert mich Andy.

„Wenn es irgendwelche Hools wären. Oder so weiße Ultradeutsche. Dann könnte ich es verstehen. Aber nen Araber? Ich schreibe nichts gegen die. Nichts gegen Ausländer. Nichts gegen Islam. So ein bisschen Gang-Zeug. Aber sonst? Ich hab keine Ahnung, was die meinen,“ spiele ich darauf an, dass ich keine Scheiße mehr schreiben soll.

„Dann denk nach. Ist ja gruselig,“ fordert Andy.

Er nippt an seinem Bier. Ich nehme die Fernbedienung. Kurz 4 Blocks rausgesucht. Play gedrückt. Irgendwelche Araber schießen auf irgendwelche anderen Araber. Beruhigt mich nicht wirklich.

Kurzer Weltuntergang

Ich versuche zum dritten Mal Claudia anzurufen. Mein Puls ist bei 180. Endlich nimmt sie ab.

„Was soll das?“ brülle ich ins Smartphone hinein. In der anderen Hand habe ich den Brief vom Anwalt.

„Steht doch drin,“ sagt sie.

Ich überfliege noch einmal das Schreiben.

„Ich will mein Kind sehen,“ entgegne ich ihr.

„Verstehe ich. Aber das ist gerade nicht drin. Das ist zu gefährlich,“ meint sie.

„Zu gefährlich? Sag mir, warum? Sag mir, was passiert ist?“ fordere ich.

„Das musst du doch am besten wissen. Die machen das doch nicht einfach so,“ antwortet sie.

„Wie einfach so? Was haben die gemacht? Wer sind die?“ frage ich nach. Mir schmerzt schon der Kopf vom Fragen.

„Die wollen, dass du aufhörst. Die du wütend gemacht hast. Über die du geschrieben hast,“ sagt Claudia.

„Was soll ich geschrieben haben?“

„Das musst du doch wissen,“ behauptet sie. Sie nervt. Sie war nie Freund meiner Schreibe. Und jetzt ist sie sauer, weil ich meinen Job an den Nagel gehangen habe für das Schreiben. Bedeutet für sie kaum Unterhalt.

„Weiß ich halt nicht. Also noch einmal: Was ist passiert?“ spiele ich auf den Teil im Schreiben ihres Anwalts an, der von Gefahr für mein Kind spricht.

Das Smartphone ist stumm. Claudia überlegt. So kenne ich sie nicht. Sie schleudert sonst immer alles raus. Ungefiltert. Unüberlegt.

„Die hatten unser Kind,“ sagt sie ganz schnell. Ganz ernst. Und meine Welt steht still.

„Wie? Wo ist sie jetzt? Wo ist Lina?“ ich bin unruhig. Ich bin in Sorge. Ich bin verzweifelt.

„Wieder bei uns. Wieder bei Mike und mir,“ antwortet mir Claudia. Da fällt mir ein Stein vom Herzen.

„Und wo war sie? Geht es ihr gut?“ will ich wissen.

„Die haben sie vom Kindergarten abgeholt. Die haben sie nach Hause gebracht. Die haben sie mir einfach so gegeben. Und gesagt, du sollst keine Scheiße schreiben,“ erzählt sie.

„Der Kindergarten? Wie konnte die Fremden unser Kind geben?“ werde ich wütend.

„Lass den Kindergarten raus. Schreib einfach keine Scheiße mehr. Und dein Kind kannst du wieder sehen, sobald es sicher ist. Also regele das, wenn du Lina sehen willst,“ sagt Claudia. Sie beendet das Gespräch.

Ich sinke auf mein Laminat. Was soll ich regeln? Wer will da was von mir? Und was für eine Scheiße habe ich geschrieben?

Blaues Auge

„Du denkst, dass sei hart?“ Die schreien mich an. Die Schlagen mir auf den Hinterkopf. Ich sehe nichts. Ich sehe nur schwarz. Entweder das Schwarz meiner Augenlider oder das Schwarz von diesem Sack, den sie mir über den Kopf gezogen haben.

„Wie kann man nur so von sich überzeugt sein? Wie kann man nur so Blöde sein? Wie kann man sich nur mit uns anlegen?“ behauptet einer.

Ich verstehe nur Bahnhof. Ich versuche nur nicht das Bewusstsein zu verlieren. Mir nicht in die Hose zu pissen. Die Erinnerung an vor 10 Minuten zu konservieren. Es zu merken. Um es wiederverwenden zu können.

Die haben mich einfach gepackt. Mich auf dem Weg zum Bus in nen Wagen gezerrt. Am Tag. Mir dann einfach ein paar Schläge verpasst und diesen Sack über den Kopf gezogen. Verdammte Scheiße. Ich hätte wirklich zu den Bullen gehen sollen.

Und warum droht man mir, wenn man mich dann doch entführt?

Ich werde aus den Auto geschubst. Jemand zieht mich. Führt mich irgendwo hin. Sie drücken mich auf nen Stuhl. Dann ziehen die den Sack von meinem Kopf. Vor mir stehen ein paar Schränke. Alle Glatze. Alle tätowiert bis an die Ohren. Die schauen grimmig. Wie aus ner Dokumentation über Ost-Nazis.

Einer mit New-Balance Schuhen stellt sich vor mich.

„Normal müssten wir dich kalt machen. Bist Schmutz. Bist so schmutzig, dass dich niemand will,“ macht der mich an.

„Aber, dich hassen alle. Dich wollen alle,“ klärt er mich auf. Ich weiß nicht, wer alle sind.

„Deshalb bist du so wertvoll für uns. Wenn jeder dich will, kommst du an jeden ran,“ sagt er. Er tätschelt mich.

„Und du willst doch keinen Ärger?“ fragt er. Ich weiß nicht, ob rhetorisch oder nicht.

„Du willst doch keinen Ärger?“ wiederholt er. Er zwickt mir dabei in die Wange.

„Nein,“ stammele ich.

„Gut, diese Araber. Die werden dich aufsuchen. Die Russen bestimmt auch. Aber die machen mehr den Familien Stress. Die Araber, die sind direkter. Die hauen dir aufs Maul. Die Russen sind so subtil. Die wollen dir Angst machen. So richtig. Und die schnappen sich gern erst die Familien,“ erklärt er.

„Die waren schon da,“ sage ich.

„Was?“ fragt mich der Nazi. Er drückt mir den Mund zu.

„Die waren schon da,“ presse ich irgendwie aus mir raus. Er lässt meinen Mund los.

„Wo?“ will der wissen.

„Die standen vor meiner Tür. Also so ein Araber. Und jemand hat meine kleine vom Kindergarten entführt. Aber dann zurück gebracht,“ erkläre ich.

„Und die Bullen? Hast du Idiot die Bullen gerufen?“ will man wissen. Der Nazi spuckt mich dabei an.

„Nein, ich dachte, es sei ne Verwechslung,“ sage ich.

Der Ober-Nazi lacht laut. Die anderen lachen mit. Wie ein Chor aus Hyänen.

„Dich? Verwechseln? Den großen Vincent Pander? Der von sich denkt, er sei schlauer als alle? Der Geheimnisse der Szene ausplaudert. Der den Bullen all unsere Geschäfte auf dem Präsentierteller serviert?“ meint der Ober-Nazi.

„Wie soll ich das machen? Ich bin nur ein Schriftsteller,“ sage ich.

„Nur ein Schriftsteller? Da! Da steht alles drin. Alles wie es läuft. Mich wundert es, dass du andere Namen verwendet hast,“ sagt der Ober-Nazi. Dann schmeißt er mir mein Buch entgegen. Es trifft mich über dem Auge. Da schwillt es gleich an.

„Das ist ne Geschichte. Das ist ausgedacht,“ wehre ich mich.

„Verarsch uns nicht. Das liefert uns ans Messer. Und dann bist du noch so dämlich und quatscht mit der Zeitung. Stellst dich als geilen Typen da. Du bist nicht hart. Das hier ist hart. Und wenn du nicht für uns arbeitest, machen wir dich kalt. So richtig. Du weißt es ja aus deinem verdammten Buch,“ meint der Typ. Er schaut mich böse an.

„Kevin, lies dem Penner mal das Kapitel über uns vor, wo wir den Hoden wegbrennen,“ fordert er. Und Kevin liest. Ich brauche nicht zuhören. Ich kenne den Teil in und auswendig. Schließlich habe ich das geschrieben.

Ende

Ich sitze in der Gosse. Ich rauche. Seit 7 Jahren habe ich keine Kippe mehr geraucht. Das Nikotin brennt. Ich muss husten. Aber ich will die. Ich will rauchen. Ich nehme nen Schluck Jim. Der brennt auch. Aber auch den will ich. Brauche ich. Ich lege mich auf den Bordstein. Ich schaue in die Sterne. Die Erde dreht sich. Mein Schädel dreht sich. Alles dreht sich. Zu schnell für mich. Eindeutig zu schnell und unübersichtlich.

Ich bin in Gefahr. Das ist nicht der Rede wert. Denn ich habe mir das ausgesucht. Ich wollte immer nur das eine: Schreiben.

Lina ist in Gefahr. Sie ist alles wert. Sie hat noch alles vor sich. Ihr darf nichts passieren. Sie hat sich das nicht ausgesucht. Einen schreibenden Vater. Mit blühender Phantasie. Mit ner Vorstellungskraft, die der Wirklichkeit gleicht.

Wie konnte mir das passieren? Habe ich irgendwie was mitbekommen? Habe ich recherchiert, ohne es zu merken? Gibt es da nen zweiten Vincent Pander? Nen Detektiv?

Nein. Leider Nein. Zufall. Unwahrscheinlich. Aber jetzt passiert. Geschehen, weil ich schreibe.

Und das Schreiben muss enden. Das muss vernichtet werden. Das hat Lina in Gefahr gebracht. Ich muss es einreißen. Wie mich. Denn Lina muss leben.

Ich schnappe mir mein Smartphone. Kamera an. Ich sehe furchtbar aus. Ich quatsche drauf los. Wie ein Schwachsinniger. Ich schimpfe. Über Frauen. Über Ausländer. Über die Politik. Die lügen alle. Und natürlich beim Klimawandel. Gewollte Überfremdung. Das Ende des weißen Mannes.

Ich ekele mich vor mir selbst. Ich lade die 5 Minuten geisteskranken Schwachsinn hoch. Auf Insta. Facebook. TikTok.

Drei Kommentare bekomme ich noch mit. Nicht nett. Das habe ich verdient. Meine Bücher wird niemand mehr kaufen.

Dann schmeiße ich mein Smartphone auf die Straße. Es zerbricht. Ich stehe auf. Ich schlurfe davon. Dann stehe ich auf der Brücke. Schluck Whiskey. Die Flasche heruntergeworfen. Sie zersplittert. Nicht denken. Und runter.