Wie stellt sie sich das vor? Wie? Einer muss ja das Geld verdienen. Sonst haben wir ja nichts. Sonst können wir das alles vergessen.

Und da stört sie mich? Und da kann sie nicht warten? Oder besser planen? Hätte sie mir nicht früher Bescheid geben können, dass wir Milch benötigen? Es wäre einfacher gewesen. Egal. Es lässt sich nicht ändern.

Ich hetze in den Lidl. Eine ältere Frau starrt mich an als ob ich ihren Einkaufswagen wegnehmen wollen würde. Was treibt die sich kurz vor Ladenschluss überhaupt noch draußen rum? Egal. Ich lächle. Kälte zurück.

Schnell die Milch gegriffen. So eine ganze Palette. Damit balanciere ich durch den Discounter. An der Kasse stehen welche an. Eine Blondine quatscht mit einer anderen Blondine irgendetwas über Kindergarten. Ich stelle die Milch auf das Band der Kasse. Sie schweigen plötzlich. Sie schauen auf die Palette Milch. Dann auf mich. Nicht lang. Ganz kurz. Darauf sehen sie sich in die Augen. Ich weiß, was sie denken. Dann quatschen sie weiter. Aber nicht mehr so schnell. Nicht mehr so intensiv. Jetzt vorsichtig. Mehr wie bei nem Geheimnis.  Jetzt sind die dran. Erst die eine. Dann die andere. Sie warten aufeinander. Sie verschwinden gemeinsam.

Ich bin an der Reihe. Die Kassiererin ist schnell. Die Kassiererin ist wortkarg. Sie nennt die Summe. Sie guckt mich nicht an. Ich lege ihr den Schein hin. Sie greift zu. Sie gibt mir das Wechselgeld.

„Guten Abend,“ sage ich. Sie erwidert nicht.

Zurück im Wagen. Die Zentrale ruft mich an.

„Möbius-Weg 12. 3 Personen,“ sagt Birgit.

„Okay,“ bestätige ich.

Wird knapp. Aber das schaffe ich. Das ist nur 10 Minuten von uns entfernt. Ich drücke auf das Pedal.

Wieder mein Telefon. Diesmal Fatima.

„Wo bleibst du?“ will sie wissen. Sie meint es nicht böse. Aber ihre Stimme klingt streng. Als würde es um jede Sekunde gehen.

„Ich bin gleich da. Kannst du vor die Tür kommen?“ frage ich.

„Warum?“

„Damit ich gleich weiter kann. Kunden warten,“ erkläre ich.

„Und wie stellst du dir das vor? Wie soll ich mit dem Kleinen auf dem Arm die Milch schleppen?“

„Dann legst du ihn kurz ins Bett.“

„Damit er wieder anfängt zu schreien? Du musst das nicht die ganze Nacht aushalten.“

„Okay. Ich bringe die Milch rein,“ knicke ich ein.

Vor der Haustür. Schnell aufgeschlossen. Hoch in den dritten. Wieder aufgeschlossen.

Fatima signalisiert mir gleich, ruhig zu sein. Ich bemühe mich. Ich stelle die Milch in der Küche ab. Sie zuckt dabei. Ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann versuche ich es beim Kleinen. Sie zieht ihn weg. Sie zieht die Augen hoch. Ich könnte ihn wecken.

„Entschuldigung,“ flüstere ich. Dann verschwinde ich wieder. Ich hetze das Treppenhaus herunter und wieder ins Taxi. Das Telefon klingelt.

„Die warten. Soll ich nem anderen Fahrer Bescheid geben?“ sagt Birgit.

„Nein, ist der Verkehr,“ sage ich und lege auf.

Ich rase zum Möbius-Weg. Drei Typen stehen bereits auf der Straße. Ich halte an. Sie springen ungefragt in meinen Wagen.

„Arschkalt,“ sagt einer, der sich vorne hinsetzt.

„Haben bestimmt eine halbe Stunde gewartet,“ wirft mir jemand vom Rücksitz vor.

„Ja, wenn ich Montag krank bin,“ gibt auch der dritte seinen Senf dazu.

„Wo soll es denn hingehen?“ frage ich.

„In den Kaufhof,“ schreit mich der vorne fast an.

Ich fahre los. Das Taxameter läuft.

„Ganz schön schnell,“ schreit wieder der neben mir. Er meint nicht meinen Fahrstil. Er meint die Anzeige des Taxameters.

„War das schon immer so teuer?“ fragt er mich wieder schreiend.

„Inflation,“ antworte ich kurz und knapp.

„Inflation. Inflation. Mit euren Preiserhöhungen treibt ihr die Inflation nur voran,“ schreit er. Ich gehe darauf nicht ein.

„Ist das in deinem Land auch so schlimm mit der Inflation?“ fragt er mich wieder sehr laut.

„Gibt sehr viele, die sich beschweren. Und Taxifahren ist sehr teuer geworden,“ sage ich.

„Und deshalb bist du hier her,“ versteht er den Scherz nicht und zieht falsche Schlüsse. Ich kläre ihn nicht auf. Wir sind am Kaufhof. Die hinten springen gleich raus. Der vorne schaut aufs Taxameter. Er gibt mir 20 Euro. Er schaut mich fragend an. Kein Trinkgeld. Ich gebe ihm 1,20 Euro zurück.

Ich reihe mich in der Schlange aus Taxen am Seitenrand ein. Der Motor läuft. Die Heizung ist an. Heute ist es wirklich arschkalt. Kurz am Smartphone die Ergebnisse gecheckt. Dortmund hat wieder verloren. Mist. Den Spielbericht spare ich mir.

Jetzt stehe ich ganz vorn an der Schlange. Zwei torkeln auf den Wagen zu. Eine Frau und ein Kerl.

„Einmal in die Dresdener,“ lallt er. Dann steigen die ein. Ich fahre los. Die sind beide voll bis oben hin.

Es ist 22 Uhr. Kann man ja schon besoffen sein.  

Sie knutschen auf dem Rücksitz. Mehr wie Tiere als romantisch. Sie haben diese kleinen Schweinsaugen und riechen nach Rauch und abgestanden Bier. Mich ekeln die an. Die Frau würgt plötzlich. Sie drückt den Kerl von sich. Verdammt. Ich fahre rechts ran. Aber zu spät. Sie kotzt mir auf den Rücksitz. Der Typ würgt jetzt auch. Er setzt einen drauf. Alles stinkt jetzt nach Kotze.

„Tut mir leid,“ meint die Frau. Ein Kotzfaden hängt aus ihrem Mundwinkel. Ich koche. Ich würde sie gern anschreien.

„Passiert,“ werfe ich ein. Ich fahre weiter. Die wollen keine 5 Minuten weiter rausgelassen werden. Denen ist es nicht mehr peinlich. Sie lecken sich wieder rum. Ich versuche nichts zu sehen. Ich versuche nicht zu atmen. Ich mache das Fenster runter. Nass-kalte Novemberluft dringt herein.

Die geben mir ein 50er.

„Für den Aufwand,“ lallt der Typ. Dann lassen die beiden mich mit ihrem Erbrochenem allein.

Ich werfe keinen Blick auf den Rücksitz. Ich kann mir das vorstellen. Ich könnte auch kotzen. Und schreien. Ein Schlag auf das Lenkrad. Ich steuere auf meine Esso zu.

Birgit ruft an.

„Fahrgäste am Adler. Wollen nach Hannover. Jackpot für dich Kleiner,“ sagt sie.

„Geht nicht,“ meine ich.

„Wie?“ will Birgit wissen.

„Die haben mir den Wagen vollgekotzt. Bin für ne Stunde raus,“ erkläre ich.

„Tut mir leid,“ meint Birgit.

Ich bin allein mit der Kotze. Ich gehe in die Tanke. Die kennen mich. Ich erzähle der Frau hinter der Kasse, was passiert ist.

„Weißt ja, wo du Wasser bekommst. Ich mach dir nen Kaffee,“ sagt sie.

Putzzeug aus dem Kofferraum. Eimer mit Wasser gefüllt. Los geht’s. Ich schrubbe. Ich wische. Kotzgeruch vermisch sich mit Citrus. Zitrone übernimmt die Oberhand. Es stinkt nicht mehr. Eine Decke drauf. Die in die Ritzen gesteckt. Rein in die Tankstelle. Mein Kaffee steht schon bereit.

„Scheiß Tag,“ sagt die hinter der Kasse.

„Scheiß Tag,“ bestätige ich.

Zwei junge Kerle kommen rein. Sie sind angetrunken. Sie lachen. Sie sind albern. Keine Würde. Sie schauen mich kurz an. Komisch. Irgendwie sprachlos. Ich passe ihnen nicht. Aber für den Augenblick bin ich egal. Erst ist das Bier wichtiger. Dann die Frau hinter der Kasse.

Mein Kaffee ist leer. Ich winke ihr zu.

„Ey, Ey,“ brüllt mich einer von den Typen an, die vorher in der Tanke waren. Ich steige in meinen Wagen. Die stehen dann neben meiner Tür.

„Fährst uns ins Pub?“ fragt einer. Er riecht nach hartem Zeug. Die waren nicht nur bei Bier.

„Steigt ein,“ sage ich. Die werfen sich auf die Rücksitzbank.

„Mach mal Mucke an,“ fordert einer.

„Ja, denn Sender, wo gerade die Elektro Nacht ist. Ich brauche was mit Bumms.“

„Wir sind gleich da,“ meine ich. Ich lüge nicht.

„Trotzdem,“ hört der eine nicht auf.

Ich überhöre es. Wir sind nach zwei Straßen vorm Pub. Sie schmeißen mir nen 10er hin. 20 Cent mehr als das Taxameter anzeigt. Ich höre noch ein leises Arschloch in meine Richtung. Keinen Respekt.

Die Zentrale ruft an.

„Zwei zwischen Parsau und Bergfeld. Mann und Frau,“ sagt Brigit.

„Zwischen? Kennen die keine Straße? Das ist zwischen zwei Dörfern. Bis ich die habe, dauert es ewig,“ werfe ich ein.

„Lässt du dir bezahlen. Sind bestimmt betrunken. Ich schicke dir die Nummer. Dann kannst du die anrufen,“ meint Birgit.

Sie hat recht. Ich sehe das Geld. Bestimmt 60 Euro. Die brauche ich. Die haben ich mir nach den ganzen Arschlöchern auch verdient.

Ich fahre zwischen den Dörfern. Keine Spur von den beiden. Ich rufe an.

„Becker,“ antwortet mir ein Typ.

„Wo sind Sie denn?“ will ich wissen.

„Zwischen Bergfeld und Parsau,“ sagt er. Im Hintergrund höre ich ne Frauenstimme. Die sagt irgendetwas von vorbeigefahren.

„Bleiben Sie einfach da stehen. Ich finde Sie schon,“ sage ich.

„Bleib du stehen. Wir finden dich,“ sagt er.

„Nein. Ihr bleibt stehen. Ist einfach für mich,“ werfe ich ein.

„Ich kenne mich hier besser aus,“ behauptet er.

„Ich habe den Wagen,“ erinnere ich ans Licht.

„Bist ein ganz schlauer, wa?“ entgegnet er.

„Bleibt einfach stehen,“ fordere ich. Ich lege auf.

Heute ziehe ich nur Nieten. Wieder ein Problem. Ich fahre die Straße ab. Sind circa 2 Kilometer. Keine Spur. Ich fahre die erneut ab. In der Mitte halte ich an. Ich wähle noch einmal die Nummer.

„Wo steckst du? Du bist doch gerade an uns vorbeigefahren. Hast du uns nicht gesehen?“ macht der mich gleich an.

„Ich habe gesagt, ihr sollt stehen bleiben. Das war so vereinbart,“ erinnere ich.

„War es nicht,“ wendet er ein. Im Hintergrund wieder die Frauenstimme. Sie sehe ein Taxi.

„Soll ich wieder fahren?“ pokere ich. Die kotzen mich an. Aber die sind hier allein. Es ist kalt und am Arsch der Welt. Die werden einsteigen.

Zwei kommen auf mich zu. Ein Typ und eine Alte. Ich sehe die Alte im Hintergrund. Der Typ lehnt sich an die Beifahrertür. Ich lasse das Fenster runter.

„Was ist jetzt? Fährst du uns oder willst du kein Geld verdienen?“ macht er mich überheblich an.

„70 Euro,“ erhöhe ich den Preis.

Vergiss es. 50,“ meint er.

„Dann viel Spaß beim Gehen,“ pokere ich weiter.

„Fick dich,“ wirft er mir entgegen. Er zieht seine Alte weg. Die beiden verschwinden in der Dunkelheit. Die bluffen. Mit Sicherheit. Die Alte wird ihm gleich die Ohren voll heulen. Wetten.

Ich warte. Die drehen nicht um. Ich fahre in die andere Richtung. Es kommt in mir hoch. Dieser Wichser mit seiner Nutte. Die haben mich hier für nichts rausfahren lassen. Das kostet mich mindestens eineinhalb Stunden. Ich wähle seine Nummer.

„Na, doch anders überlegt,“ kommt er sich gleich geil vor.

„Du dreckiger Hurensohn. Du hast mich mit deiner Fotze verascht. Ihr seid ganz miese Wichser. Ich werde euch so ficken,“ platzt es aus mir raus.

„Pass mal auf. Halt du deine Fresse und verpiss dich in dein Land,“ beleidigt er mich.

„Du dreckiger Hurensohn. Ich ficke dich und deine Freundin in den Arsch. Du Hurensohn. Du…,“ brülle ich den Arsch an.

Er hat aufgelegt. Ich schlage gegen das Lenkrad. Ich komme fast von der Straße ab. Ich halte einfach an.

„Beruhige dich,“ spreche ich mir zu. Ich darf mich nicht verlieren. Ich darf mich nicht so aufregen. Ich darf nicht so entgleisen. Mist. Was habe ich getan? Wenn der sich über mich beschwert? Ich brauche den Job. Wir brauchen das Geld.

Ich drehe um. Ich muss die beiden suchen. Ich muss mich entschuldigen. Auch wenn ich die umsonst fahren muss. Ist besser als den Job zu verlieren.

Ich bin wieder zwischen Parsau und Bergfeld. Fernlicht an. Ich suche. Dann plötzlich. Etwas springt vor meinen Wagen. Ich bremse. Es bollert. Ich bin über etwas rübergefahren. Mein Wagen kommt zum Stehen. Im Rückspiegel sehe ich etwas in Kleidung gehüllt auf der Straße. Eine Frau läuft auf den Klumpen Kleidung zu. Sie schreit. Sie blickt zu meinem Wagen. Es ist die Alte von dem Typen.

Ich zähle eins uns eins zusammen. Der Kleiderhaufen auf der Straße muss der Typ sein. Verdammt. Mir glaubt doch niemand, dass es ein Unfall war. Ein Versehen. Die werden mich einbuchten.

Rückwärtsgang rein. Augen zu. Ich höre es knallen. Ich fahre über etwas rüber. Es bollert mehrfach. Wieder angehalten. Ich sehe zwei Kleiderhaufen auf der Straße. Ich fahre noch einmal rüber. Diesmal mit viel Gas. Es bollert nur ganz kurz.

Ich steuere die Esso an.