Wenn Legenden ins Gras beißen

Hast du das gelesen?“ will Arne wissen.

„Was?“
„Nicht dein Ernst?“

„Was denn nun?“

Arne ist bestürzt. Arne holt sein Smartphone aus der Tasche. Arne zeigt mir nen Bericht im Kicker. Irgendein Fußballer ist tot. Irgendein Weltmeister.

„Sorry.“

„Der war so groß. Ich erinnere mich noch genau an den Hammer gegen die Eintracht. Und wie er diese drei Mailänder im Uefa Cup nass gemacht hat. Weißt du noch?“

Weiß ich nicht. Arne vergisst oft, dass wir uns erst mit 20 kennengelernt haben. Ich weiß kaum etwas über seine Jugend und er nahezu nichts über meine. Obwohl? Eigentlich gibt es bei ihm nicht so viel zu wissen. Der war fußballverrückt. Ist es immer noch. Und ich nicht. Ich habe gerne gekifft. Ich kiffe immer noch gern. Unser gemeinsamer Nenner.

Arne wirft sich aufs Sofa. Arne füllt die Bong. Arne raucht. Ich bin dran. Arne macht irgendwelche Videos an. Highlights von dem verstorbenen Fußballer. Kommt mir immer noch nicht bekannt vor. Sieht aus wie alle. Klar, der hat noch keine Tattoos und keine stilsichere Frisur. Aber auch diesen selben leeren Blick, den die alle draufhaben. Als würden die nicht wissen, was sie mit all der Kohle und den Weibern anfangen sollen.

„Boah, was für ein Ding. Da war ich sogar im Stadion. Kann ich mich genau dran erinnern. Da hab ich mein erstes Jahr Lehre verkackt. Hab dann eingesehen, dass Dachdecker nichts für mich ist und bin lieber zum Straßenbau. Und da hab ich die Sabine flach gelegt. Man konnte die blasen,“ erzählt Arne. Er ist glücklich. Der ist voll drin in seiner Vergangenheit. Als ob damals alles bessere gewesen wäre. Bilden wir uns doch nur ein. War genauso scheiße wie heute.

„Macht dich richtig glücklich, wa? Irgendwie makaber,“ gönne ich es ihm nicht.

„Makaber?“

„Na ja, erst warst du betroffen wegen dem und jetzt strahlst du wie ein Honigkuchenpferd.“

„Verstehst du nicht,“ entgegnet mir Arne beleidigt und zieht wieder an der Bong.

Dann klingelt es. Ich mache auf. Es ist Kenny.

„Boah. Legende,“ ruft er gleich dem Fernseher entgegen.

„So traurig. War einfach zu früh,“ meint Arne.

„Definitiv. Ich muss immer an den Pokal gegen den FC denken. Da hat der einen aus 18 Meter raufgehauen. Ging ins Tor wie ein Strich. Dachte, der hat das Netz durchschossen,“ schwärmt jetzt der nächste.

Ich kiffe lieber. Ich habe einfach keine Ahnung von Fußball. Ist für mich irgendwie wie ein böhmisches Dorf. So nichts sagend. So Zeitverschwendung.

„Und als hätte er das gewollt, habe ich ne perfekte Nummer für uns. Geht um Fußball,“ haut Kenny raus. Dann grinst er wie so ein blöder Affe.

„Haue schon raus,“ werde ich ungeduldig.

„Wir werden verdammte Ordner beim VFR. Wie geil ist das denn?“

„Bist du bekloppt? Ich werde bestimmt kein Ordner,“ wende ich ein.

„Und ich auch nicht. Lieber tot als ein Ordneridiot,“ meint Arne.

„Ist doch nicht richtig. So für einmal. Wir kriegen da diese orangenen Jacken und die Ausweise. Natürlich nicht auf unsere Namen. So unechte. Und dann kommen wir ins Stadion,“ erklärt Kenny.

„Und dann? Ich hasse Fußball,“ sag ich.

„Dann räumen wir die aus. Da kommen wir mit in die Kabinen. Sind dafür berechtigt.“

„Und dann? Da sind wir doch nicht allein.“

„Während des Spiels interessiert sich da keiner für irgendetwas, nur für das Spiel. Versteht ihr. Die haben da Kohle drin und Schmuck. Da sind ein paar Scheine,“ sagt Kenny. Der strahlt jetzt auch so richtig bekloppt. Als wäre ein Reaktor in seinem Schädel ausgelaufen.

„Klingt erst mal gut,“ meint Arne.

„Und du? Was ist mit dir?“

„Fuck, sind nur Fußballer. Und wenn wir nicht das scheiß Spiel schauen müssen. Warum denn nicht. Bin dabei,“ sage ich.

„Darauf ein Bier,“ schlägt Kenny vor. Der braucht nicht lang und schon holt der ein Kasten aus der Küche. Den haben wir da immer stehen. Trinken halt gern hier in unserer WG.

„Auf die Granate des Landes!“ stimmt Arne ein.

„Und die reichen Jungspunde,“ meint Kenny.

„Wegen mir,“ füge ich hinzu.

Matchday

„Das war so ne scheiß Idee,“ fluche ich.

„Frag mal Kenny,“ meint Arne. Arne läuft. Arne schwitzt. Arne schnauft. Ich übrigens auch. Wie so ne Lokomotive. So ne alte. Eine, die nur dreimal im Jahr so ne Sondertour macht.

Und Kenny? Den haben die geschnappt. Gleich als erstes. Die sind da einfach rauf. Zwei Schränke. Solche Typen im Anzug. Mit so nem Knopf im Ohr und Sonnenbrillen. So ein richtiges Klischee. Die haben seinen ganzen Körper einfach auf die Fliesen gedrückt. Sah verdammt schmerzhaft aus.

Und Arne und ich sind dann gleich los. Haben so ein paar Menschen umgeschubst. Dann raus aus dem Stadion und jetzt direkt am Fluss entlang.

Ich springt so ne Böschung in nen Wald hinunter. Da sind Äste. Wurzeln und viel Laub. Es zieht an meinem Fuß. Etwas hält mich. Ich gehe zu Boden. Ich liege mit der Nase zwischen braunen Blättern.

„Spinnst du?“ motzt Arne. Auch der liegt da.

„Lass uns hier warten. Hier vermutet uns niemand.“

Wir japsen beide nach Luft. Wie so ein Fisch, den sie aus dem See gezogen haben.

„Was zu trinken wäre jetzt Bombe.“

„Bei dir ist immer was. Echt ey,“ schmeiße ich Arne an den Kopf.

Langsam senkt sich der Puls. Mein Herz beruhigt sich. Stresslevel verschwindet. Dazu auch Durst. Und Bock auf ne Kippe.

„Hast du Beute?“ fragt Arne.

„Eine Uhr.“

Ich zeige ihm das Stück. Sieht wertvoll aus. So nen Eindruck machen die aber immer auf mich. Kenne mich da nicht so aus. Das Rolex wert hat. Das weiß ich. Was anderes kenne ich eigentlich gar nicht. Woher auch? Trage ja selbst keine.

Arne zeigt mir ein Portmonee. Er öffnet es. Ein paar Scheine. Viele Kreditkarte.

„Scheiße.“

Er zeigt mir nicht einmal 200 Euro. Die steckt er ein. Das Portmonee fliegt in Richtung Fluss. Das landet irgendwo im Laub. Findet keiner wieder.

„Und jetzt?“

„Woher soll ich das immer wissen? Hab doch selbst mal ne Antwort,“ fordere ich.

„Weißt du was? Fick dich. Bist ein selbstgerechtes Arschloch.“

„Fick du dich doch.“

„Mach ich auch,“ meint Arne. Der steht einfach auf. Geht jetzt auch Richtung Fluss. Zum Weg.

„Wo willste hin? Warte lieber.“

„Behalt du die beknackte Uhr und ich die Kohle. Dann sind wir quitt.“

„Wir reden darüber, wenn ich auch zu Hause bin!“

Klingt wie bei so nem alten Ehepaar. So stellen wir uns auch manchmal an. Arne ist weg.

Ich lege mir etwas Laub zusammen. Dann Fötus-Stellung. Die Erschöpfung. Die Augen fallen zu.

Und dann sind die auf. Da raschelt etwas. Ganz laut. Ganz bedrohlich. Ist Arsch dunkel. Wildschweine?

Mein Puls ist wieder ganz oben. Und meine Kehle so richtig trocken.

Jemand stolpert. Jemand lacht.

„Was gehst du auch so tief rein,“ meint ne andere Stimme.

„Ich hab hier nen Portmonee gefunden. Ist von unserem Torwart. Aber keine Kohle drin,“ ruft jemand anderes. Arne kann halt nicht werfen.

Dann spüre ich es an meinem Bein ganz warm werden. Die pissen mich an. Was für ne Scheiße.

„Ach du scheiße. Hier liegt ein Arschloch,“ meint jemand. Dann spüre ich ein Fuß an meinem Bauch. Der versucht mich umzudrehen.“

„Nen Toter?“

„Keine Ahnung.“

„Fick dich,“ meine ich.

„Ein Arschloch, tatsächlich,“ meint jemand. Der tritt mir auf den Kopf. Ich will hoch. Aber dann kriege ich noch nen tritt. Und weitere folgen. Ich gehe wieder zu Boden. Da folgen weitere Tritte. Und jetzt Pisse. Und Beschimpfungen. Immer wieder Arschloch. Die sind nicht kreativ. Und ich am Boden. Ganz tief. Irgendwie muss ich heulen. So richtig. Aber ohne Ton und Tränen kommen auch nicht.

Dann lassen die von mir ab. Dann gehen die. Im Mondschein sehe ich die Trikots von denen schimmern. Beide die 10 auf dem Rücken. Die lachen. Die erzählen jemanden etwas. Von mir. Von ihrem Triumph. Und ich?

Ich starre da die Äste hoch. Die ohne Blätter. Kann nicht mehr schlafen. Kann nicht aufstehen. Und es fängt an so richtig nach Pisse zu stinken und sich angepisst anzufühlen.

Die Großen Fressen die kleinen Haie und die Guppys

Arne hat sich echt verpisst. Von dem fehlt jede Spur in unserer WG. Und was mit Kenny ist? Keinen Plan? Kann mir nur schwervorstellen, dass er deswegen einsitzen muss. Aber sei es drum. Vielleicht will der mich nur schützen. Oder seinen eigenen Arsch. Oder, was weiß ich.

Ich war lange nicht mehr so lang allein hier. Genieße das. Dusche. Renne nackt durch die Wohnung. Wichse in Arnes leeren Kleiderschrank. Wenn der Arsch nicht wiederkommen will, ist er die längste Zeit ein Freund gewesen. Arschloch.

Besaufe mich. Ist irgendwie geiler als Kiffen, wenn man wütend ist. Und ich bin verdammt wütend. Meine Freunde sind weg und so ne Schweine haben mich angepisst. So richtig angepisst. Deshalb bin ich angepisst. Über die Tritte kann ich hinwegsehen. Aber die Pisse? Ne, so geht man nicht mit Mitmenschen um. Das ist hochgradig asozial.

Ich drehe die Mucke auf. Savas. So die bösen Texte. Die alten. Die rappe ich mit. Ich will Rache. Ich will mir diese Fußballfans schnappen. Diese Feiglinge. Jeden im eins gegen eins. Dann pisse ich euch an. Ihr Arschlöcher.

Es klopft an der Haustür. Bestimmt die Nachbarn. Weil ich zu laut bin. Oder die Bullen. Scheiße, bestimmt die Bullen wegen der Uhr. Die wissen von Kenny von mir. Oder hat Arne gesungen, um mir einen reinzuwürgen? Nein, ich traue Arne dem Arsch viel zu, aber nicht das.

Ich mache die Mucke aus. Es klopft wieder. Ich krieche zur Tür.

Ganz leise und vorsichtig. Wie so ein Indianer auf der Jagd. Dann ziehe ich mich an der Tür hoch und starre durch den Spion. Kein Nachbar. Kein Bulle. Ein Auge starrt auf der anderen Seite in den Spion. Du Schwein siehst mich nicht. Egal wer du bist.

Bums. Fällt die Tür aus den Angeln. Sie kippt in meine Richtung. Verkeilt sich dann aber an der Garderobe. Ich bin direkt dahinter. Etwas Wand bröckelt ab. Dann Schritte. Jemand zieht die Tür weg. Jemand anderes zieht mich hervor.

„Wo ist die Uhr von Killian?“ fragt einer. Der drückt mich gegen die Wand. So richtig. Das drückt im Rücken. Und an der Brust, wo er seine Hand hat.

„Wo ist die Uhr von Killian?“ will der andere wissen. Er schlägt mir ins Gesicht. So mit der Faust. So, dass es weh tut.

„Wer ist Killian?“ stelle ich mich doof. Also wegen der Uhr. Nen Killian kenne ich tatsächlich nicht.

„Willst du uns verarschen?“ sagt da einer. Dann landet wieder ne Faust im Gesicht. Ich würde umkippen, wenn der andere mich nicht gegen die Wand drücken würde.

Der mich nicht hält, geht in die Wohnung. Der schubst einfach alles um. Schränke knallen, Fernseher knallen, Stühle knallen.

„Ein dreckiges Loch,“ stellt er fest. Zerstört dann noch mehr.

Dann kommt er zurück.

„Das ist Killians Uhr,“ sagt er und hält mir die Uhr unter die Nase.

„Okay, sorry,“ stammele ich. Ich will nur, dass die verschwinden.

„Fick dich,“ sagt der andere. Dann schubsen sie mich ins Treppenhaus. Dann schubsen sie mich die Treppe runter. Drei Stockwerke. Es schmerzt alles. Unten schmeißt mich einer auf seine Schulter. Wie so ein Sack Mehl.

„Ist klar, was passiert, wenn du schreist,“ stellt der klar, der mich nicht schleppt.

Die werfen mich auf die Rücksitzbank. Die verriegeln. Jetzt schmerzt alles noch mehr.

Dauert nicht lang und ich bin in ner Tiefgarage von einem Haus. Von so nem Reichen. So ne Villa. Die ziehen mich raus.

„Killian, die Mannschaft ist voll,“ sagt der eine.

„Dann kann das Spiel beginnen,“ antwortet ein anderer. Der muss Killian sein. So ein Schönling. So ein Fußballprofi. Neben ihm stehen zwei andere. Sehen aus wie Abziehbilder von ihm. Und da in der Ecke sind Kenny und Arne. Die sehen beschissen aus. Ich werde zu den beiden geschubst.

„Wer die meisten tötet. Einer nach dem anderen,“ erklärt Killian seinen zwei Abziehbildern die Regeln. Dann fängt einer an. Der hat nen Ball. Der zimmert mit seinem Fuß voll ab. Dann trifft er Kenny. Der geht zu Boden. Aber tot ist der nicht.

Ein anderer ist dran. Der erwischt mich. Nicht am Kopf. Aber an den Eier. Ich kriege keine Luft.