Happy 30th

Ich rieche den Frühling. Zumindest glaube ich das. Weil das irgendwie so anders ist. So in meiner Nase kitzelt. Die Luft leichter ist und nicht so kalt. So als hätte sich etwas gravierend verändert. Ne Zeitenwende.

Die Autos fahren irgendwie schneller. Die haben noch keine Frühlingsgefühle. Mehr Zorn als Liebeslust. Die rattern. Die stinken. Hier mal ein E-Auto. Das summt.

Töten könnten die mich beide. Müsste nur nen Fuß auf die Straße setzen. Genau jetzt. An Selbstmord würde da niemand denken. Einfach nur ein Holzkopf, der vergessen hatte, von rechts nach links zu sehen.

Mache ich nicht. Warum eigentlich nicht? Weil ich es hier an und für sich ganz nett finde. Weil ich die Hoffnung habe, dass da noch etwas passiert. Und weil ich Lotto spiele. Hoffnung. Hoffnung hält mich am Leben.

„Marlon,“ begrüßt mich meine Tante im REWE. Sie kassiert da. Ich kriege Prozente da. Ist die Schwester von meinem Vater. Noch das einzige Bindeglied zu ihm. Oma und Opa sind ja schon tot, meine Tante hat meine Cousine bei ner Kreuzfahrt verloren und mein Papa ist jetzt gut 2 Jahre unter der Erde.

Aber so richtig weiß meine Tante auch nicht, wer er war. Die haben auch so ne unbeständige Beziehung geführt. Mal mochten die sich. Dann war das Hass. Die Lite-Version der Beziehung meiner Eltern.

„Du sollst nicht so viel rauchen,“ mahnt mich meine Tante.

„Du auch,“ entgegne ich. Wir lachen.

„Morgen bei dir?“

„Ja, aber nur Frühstück.“

„Kommt auch ne Freundin?“

Ich gehe da nicht richtig drauf ein. Meine Tante versteht nicht, dass ich nichts Festes will. Das bringt nur Ärger.

„Nur wir. Also du, Mama und ich,“ sage ich.

„Mein Neffe wird 30.“

„Wird nicht besser, wenn du es wiederholst.“

„Was soll ich denn sagen?“

Ich verlasse den REWE mit zu viel. Vor allem zu viel Junk-Food. Zu Hause packe ich aus. Ich mache mir ein Bier auf. Ich liebe Bier aus der Dose. Irgendwie schmeckt das besser. So schön metallisch und kühl. Davon gebe ich mir mehr. Damit feiere ich rein.

Es klingelt an der Haustür. Ich öffne. Da steht Karina vor mir. Sie ist aus der Puste.

„Du musst unbedingt ne Etage tiefer ziehen,“ meint sie. Dann lächelt sie. So verführerisch.

„Was willste denn hier?“

„Was will ich schon hier?“ meint sie. Sie holt hinter ihrem Rücken ne Flasche Jim Beam hervor. Sie schaut mich an. Ganz tief mit ihren blauen Augen.

„Happy Birthday,“ flüstert sie und geht auf mich zu.

„Lass das. Ich habe erst morgen Geburtstag,“ nehme ich ne Ausrede.

Sie geht weiter auf mich zu. Sie kommt mir ganz nahe. Sie treibt mich ins Wohnzimmer.

„Verschwinde, bitte,“ flehe ich.

„Happy Birthday,“ wiederholt sie immer wieder ganz leise. Ich stolpere aufs Sofa. Sie stellt den Jim auf den Tisch. Ihre Jacke rutscht runter. Dann sitzt sie auf mir drauf. Sie entkleidet sich oben. Dann unten. Dann sitzt sie nackt auf mir drauf.

„Happy Birthday,“ ruft sie ekstatisch. Sie reißt mir die Klamotten runter. Wehren zwecklos. Weil sie will. Weil mein Körper will. Mein Herz und Verstand zählen nicht.

Wir sind fertig. Sie kuschelt ihren nackten Körper ganz fest an meinen.

Dann fängt sie an zu heulen. Zu wimmern. Sie beißt mich einfach in die Brustwarze.

„Aua, bist du bescheuert?“ meine ich. Ich springe auf. Ich halte mir die Brustwarze. Da läuft Blut raus.

„Was bist du für ein Arsch? Du benutzt mich nur. Glaubst du, nur weil du Geburtstag hast, könntest du mich einfach ficken?“

„Was stimmt denn mit dir nicht? Du bist doch hier rein? Habe ich dich gezwungen?“ sage ich. Ich lasse mich auf den Scheiß ein. Ich weiß, dass die gleich durchdreht. Die ist verrückt. So richtig bekloppt. Deshalb hat das zwischen uns nicht geklappt. Habe ich nach drei Dates und einem Fick gleich gemerkt.

„Zwing mich nicht,“ schreit sie jetzt.

„Zwingen?“

„Vergewaltigung! Ich werde vergewaltigt,“ brüllt sie wie am Spieß.

„Halt die Fresse! Bitte sei ruhig. Das ist nicht witzig,“ meine ich.

Karina hört nicht auf. Sie brüllt weiter. Die hört einfach nicht auf. Ich presse meinen Mund auf ihren. Dann spielt ihre Zunge mit meiner.

„Ich will das nicht,“ flüstert sie. Sie führt meine Hand an ihre Muschi. Die ist klitschnass. Schon bin ich in ihr.

Gekommen, um zu bleiben

„Wäre schön, wenn du verschwinden könntest,“ fordere ich.

„Wie du willst. Alles für dich, Darling.“

Karina zieht sich tatsächlich an. Die will verschwinden. Macht sie auch. Noch nen Kuss und die ist weg. Die ist echt bescheuert. Aber der Sex ist gut. Weil krank. Eben weil sie so bescheuert ist. Zeigt mir, dass ich nicht der Bescheuertste der Welt bin. Ist zwar auch krank, aber hilft mir.

Ich decke den großen Tisch im Wohnzimmer. Den, welchen ich nur alle paar Monate verwende. Der sieht noch aus wie neu. Könnte ich eigentlich verkloppen. Bringt bestimmt 150 Euro bei Kleinanzeigen. Aber wo dann Leute einladen? Vielleicht gar nicht mehr. Braucht man eh nicht.

Dutzende Nachrichten auf dem Smartphone. Ganz viel Facebook, weniger WhatsApp, kaum SMS. Alle irgendwie gleich. Alle irgendwie nur dieser eine Satz. Dieser, der mich beglückwünscht. Ist manchmal herzlich. Oft happy. Meistens trivial.

Dann klingelt es schon an der Tür. Mama. Sie umarmt mich.

„Mein Sohn ist 30.“

Ich kriege ne Karte in die Hand gedrückt. Da ist Geld drin. Irgendwie peinlich. Verdiene ich ihr nicht genug? Denkt sie, dass sie mich so unterstützen muss?

Ja klar, ist schön. Und Kohle brauche ich immer. Aber auch irgendwie frustrierend. Wie das ganze Geschenke. Überflüssig.

Dann kommt meine Tante. Die hat wenigstens was Brauchbares. Ne Handvoll Kippen-Schachteln. Pragmatisch und rauchbar.

Mama und meine Tante begrüßen sich. Ganz still. Dann sehe ich den Grund dafür. Mama hat ein blaues Auge.

„Was zum Teufel?“ will ich wissen.

„Nichts,“ meint sie. Sie setzt sich an den Tisch. Wir machen es ihr nach.

„War das dieser Arsch?“ will ich wissen.

„Es ist dein Geburtstag.“

„Du wolltest den rausschmeißen. Das hast du mir versprochen,“ werfe ich ein.

Mama antwortet nicht. Sie starrt irgendwo hin. Sie versucht sich wegzudenken. Heraus aus dieser Situation. Ich koche. Ich will diesen Macker verprügeln. Ich werde den verprügeln. Ich starre auch irgendwohin.

„Sieht gut aus,“ will meine Tante das Thema wechseln. Sie schneidet jedem ein Aufbackbrötchen auf. Wir beschmieren die.

„In der Backstube wollen die jetzt 21,49 Euro für nen Frühstück. Hat Gabi erzählt,“ teilt meine Tante Belangloses mit.

„Ich setze den vor die Tür. Da fahren wir nachher zusammen hin. Wann ist der zurück?“ will ich von meiner Mama wissen. Die antwortet immer noch nicht.

„Wann?“ will ich wissen.

„Ich habe das verdient,“ stottert mir Mama entgegen.

„Hat niemand verdient,“ meine ich.

„Doch.“
„Man schlägt niemanden. Erst recht nicht meine Mama,“ stelle ich klar. Sie fühlt sich so verdammt schuldig. Fühlt sie sich noch immer. Dachte, durch Papas Tod würde sich da etwas ändern. Aber denkste. Ist nur noch schlimmer geworden. Der hat sie immer betrogen und angeschrien. Aber nie geschlagen. Und der Neue macht das regelmäßig. Der boxt die richtig. Das macht mich sauer. So richtig.

Die Haustür wird aufgeschlossen. Wer zum Teufel? Vermieter? Sonst hat doch keiner nen Schlüssel? Oder ne dämliche Überraschung? Aber mit Schlüssel?

Und da steht Karina in der Tür. Die hat jetzt ganz viele Kartons auf dem Arm.

„Oh,“ meint meine Tante. Die scheint sich zu freuen.

„Hilf ihr doch mal,“ fordert meine Mama von mir. Mache ich dann irgendwie. Man hört ja auf seine Mutter dann doch immer.

„So habe ich schon mal das Wichtigste hier. Den Rest holen wir nach und nach. Meine Wohnung habe ich ja bis Monatsende,“ meint Karina. Sie begrüßt alle. Stellt sich vor. Umarmt. Dann holt sie sich Besteck und Teller aus der Küche. Als würde das ihr gehören. Sie setzt sich neben mich.

„Habe ich gar nicht gewusst. Freut mich,“ meint meine Tante.

„Mich auch,“ sagt meine Mama.

„Sollte eine Überraschung werden,“ sagt Karina. Sie gibt mir nen dicken Kuss. Der schmeckt irgendwie bitter.

„Seit wann seid ihr schon zusammen?“ fragt meine Tante.

„Schon eine Weile, aber gestern bin ich gekommen, um zu bleiben.“

Karina krallt sich in meinen Oberschenkel. Die drückt fest zu.

„Ja, so ist das,“ füge ich hinzu und versuche zu lächeln.

Um den Verstand…

„Lass mich,“ sage ich. Ich will Karina zur Seite schieben. Ich will raus. Ich will zu meiner Mama. Ich will diesen Arsch zur Rede stellen.

Karina hüpft vor mir hin und her. Sie lacht. Für sie ist es ein Spiel. Ich merke, wie ich sauer werde. Ich könnte sie einfach hochheben. Oder schubsen.

„Ich will das nicht. Ich will nicht, dass du gehst.“

„Würde dir auch gut tun. Seit du dich hier eingenistet hast, hast du die Wohnung nicht verlassen. Da müssen doch noch Sachen in deiner alten Wohnung sein.“

„Kann warten und sei nicht so fies.“

Wir schauen uns an. Irgendwie mag ich diesen kleinen Psycho. Ist das Liebe? Fühlt sich das so an? Die macht wirklich alles für mich. Die geht Risiken ein. Die zeigt mir, dass ich sie nicht so einfach loswerde. Die will mich. Ich bin geschmeichelt. Aber verliebt?

Sie küsst mich einfach. So heftig mit Zunge.

„Ich will wirklich. Ist wichtig. Ist meine Mama. Der schlägt die sonst zu Brei.“

„Dann ruf die Bullen.“

„Die machen doch nichts. Da muss die erst tot sein,“ sage ich. Mir wird Angst und Bange. Jetzt will ich wirklich los. Manchmal kann es ja tatsächlich schon zu spät sein.

„Dann warte noch kurz. Ich stärke dich,“ meint Karina. Sie greift mir einfach in den Schritt. Sie packt ganz fest. Sie geht rückwärts ins Schlafzimmer.

„Widerstand zwecklos.“

Ich werde auf das Bett gedrückt. Dann greift sie darunter. Handschellen. Sie grinst.

„Ich will das nicht.“

„Macht Spaß.“

Und klick. Ich bin ans Bett gefesselt. Dann zieht sie noch ein Paar hervor. Wieder klick. Jetzt der andere Arm. Meine Hose wird halbherzig heruntergezogen. Mein Hoodie bleibt an. Sie lutscht kurz. Dann reitet sie mich. Wie so eine Verrückte. Und laut. Ihr gefällt, dass ich nichts machen kann. Sie kommt. Ich komme. Karina steht einfach auf. Sie sagt nichts. Sie verlässt das Schlafzimmer. Die Tür wird zugemacht.

Diese Durchgeknallte. Humor hat die.

Jetzt übertreibt die. Die ist immer noch nicht zurück. Bestimmt fünf Minuten.

„Karina! Karina! Das ist nicht lustig. Ich will zu meiner Mama,“ brülle ich.

Karina reagiert. Sie dreht den Fernseher auf. Ich höre irgendwelche Popsongs und irgendwelche Leute quatschen.

„Karina! Karina!,“ schreie ich. Bestimmt wieder fünf Minuten. Oder länger. Mir bleibt die Stimme weg. Der Hals ist ganz trocken.

Ich bin richtig wütend. Ich reiße an den Handschellen. Aber das sind nicht diese billigen aus Plüsch. Das sind echte. Die hat die irgendwoher. Ich versuche das Bett zu zerbrechen. Arschkarte. Ich wünsch mir ein Gestell aus Holz. Ich sehe es ein. Irgendwie ist mir zum Heulen. So fühlt sich keine Liebe an. So ist Wahnsinn.

Dann geht die Tür auf. Da steht Karina. Aber nicht allein. Da ist eine bei ihr. Die schauen mich an. Wie so ein Ausstellungsstück.

„Der denkt an nen Dreier. Wette?“ meint die Neue.

„Kriegste nicht,“ entgegnet mir Karina. Sie grinst.

„Karina, mach mich ab. Was soll das?“

Karina schaut kurz zu mir. Sie schnauft belustigend. Sie verschwindet. Die Tür geht wieder zu. Was soll das?

Ich brülle. Ich rüttele. Ich will auf mich aufmerksam machen. Die Nachbarn alarmieren. Mir geht die Kraft aus. Es wird draußen dunkel. Das Adrenalin ist draußen. Wie die Wut. Jetzt nur noch Verzweiflung.

Wieder geht die Tür auf. Karina steht da mit der Neuen. Ich trete gleich um mich.

„So ein Wilder.“

„Ja, voll drüber.“

Karina hat ein nasses Handtuch dabei. Sie breitet das aus. Das sehe ich in der Dämmerung. Dann wirft sie es. Es klatscht auf meinem Kopf.

Ich schüttle. Ich brülle. Dann springt etwas auf mein eines Bein. Dann auf das andere. Und etwas wird um meine Fußgelenke gezogen. Ich bin jetzt auch da gefesselt. Völlig wehrlos. Ich ringe nach Luft. Jetzt von irgendwoher Wasser. Auf das Handtuch. Auf mich. In mich. Ich ringe nach Luft. Ich ringe. Ich ringe. Im Hintergrund Gekicher.