Leere Kästen

„Lass mal die Luft raus,“ meint Steffen. Der gibt mir die Flasche Einbecker.

Ich gehe zum Kühlschrank. Viel ist da nicht mehr. Und es ist Samstag.

„Sind nicht mehr viel da,“ teile ich meine Erkenntnis mit ihm. Dann reiche ich Steffen ne Flasche Bier. Der öffnet und nippt gierig.

„Dann müssen wir Nachschub holen. Das du immer so wenig kaufst.“

Der kauft doch selbst immer wenig. Oder gar nicht. Nie sind wir bei dem. Immer nur bei mir. Aber passt schon. Sonst wüsste ich nicht, wie ich die Zeit totkriege.

„Lass uns mal los. In ner Stunde ist schon Anpfiff,“ erinnere ich.

Wir nehmen uns jeder ein Bier mit. Dann verlassen wir die Wohnung. Aus dem Keller nehmen wir uns die Schubkarre vom Hausmeister.

Ich halte immer wieder an, um nen Schluck aus meiner Pulle trinken zu können. Fährt sich so schlecht mit einer Hand. Dann will die Schubkarre immer Kreise drehen.

„Hoffentlich gewinnen die heute,“ meint Steffen. Der hat sein blaues Trikot mit der 10 schon an. Hat er eigentlich immer. Aber heute riecht das nach Waschmittel. Ist angenehmer als Schweiß.

„Wird schon.“

„Dann können die das echt packen. Wieder erste Liga. Das wäre was. Am letzten Spieltag müssten wir da mal echt wieder hin.“

„Wäre was.“

Wäre nichts. Wären Ausgaben. Wir müssten nach Hamburg. Zugfahrt. Karten fürs Spiel. Bier im Stadion. Da ist so ein halbes Gehalt wieder weg. Die Kohle habe ich nicht. Die Kohle hat auch Steffen nicht. Auch wenn der sich immer anders gibt.

„Boah. Ist heute warm,“ stöhnt Steffen. Der setzt sich auf die Bank vor der Kirche. Ich daneben. Wir trinken an unserem Bier. Wir schauen irgendwohin. Wir verfolgen die Autos, die die Hauptstraße entlangfahren.

„Willst du eigentlich deinen Lappen zurück?“ fragt mich Steffen.

„Ja.“

„Und wann willste damit anfangen?“

„Weiß nicht.“

„Warum nicht schon nächste Woche?“

„Müsste mit dem Bier aufhören.“

„Dann warte mal lieber. Ist schwer.“

„Ja.“

Autos rasen an uns vorbei. Wäre schon schön, wenn ich wieder dürfte. Aber diese Kosten. So ne Karre frisst dich auf. Die muss bezahlt werden. Dann der Sprit. Die Versicherung. Und die Zeit, die man da so investiert. Saubermachen, reparieren. Und natürlich dieses nicht fahren dürfen, wenn man einem im Tee hat. Entweder man kann Auto fahren oder eben nicht. Hat nichts mit dem Alkohol zu tun. Bin da ja ein gutes Beispiel. Hat über Jahre niemand gemerkt, wenn ich gefahren bin. Und hätte auch weiter niemand. Aber die mussten ja diese Kontrolle machen. Und da musste ich pusten. 1,9 Promille. Ist jetzt auch schon knapp 5 Jahre her.

„Und du? Willste den nicht mal machen?“ will ich von Steffen wissen.

„Glaube nicht. Wozu noch?“

„Stimmt auch wieder.“

Wozu überhaupt noch was. Leben rum kriegen. Darum geht’s doch. Die in den Autos haben Frauen. Die haben Kinder. Und wir?

„Lass uns weiter.“

Die leeren Flaschen rollen in der Karre umher.

„Hätten mal nen leeren Kasten nehmen sollen,“ meint Steffen.

„War noch keiner vollzählig.“

„Muss ja nicht.“

„Da bin ich wie mein Opa. Der hat auch nur volle leere Kästen zurückgebracht. Hat sogar Flaschen nachgekauft, wenn die kaputt gegangen sind.“

„Verrückt.“

Vorm Netto stellen wir die Karre ab. Wir tauschen die gegen nen Einkaufswagen. Drinnen ist es schön kühl. Da will man gar nicht mehr raus. Das hätte ich mal lernen sollen. Biste im Winter im Warmen und im Sommer hast du ne Abkühlung. Aber ich habe nichts gelernt. Deshalb muss ich ackern. Deshalb muss ich gegen die Kette ankämpfen. Sitze polstern. Drecksjob.

Wir bezahlen zwei Kästen. Steffen schmeißt ne Runde.

„Heute Weihnachten?“ scherze ich.

Dann sind wir wieder auf dem Weg.

„Asoziale Hamburger!“ brüllen welche aus nem Auto.

Steffen wirft seine Flasche dem Wagen hinterher. Wie so ne Handgranate. Und der trifft. Die Flasche zerspringt in tausend Scherben. Mir ist ganz anders. Der Wagen bleibt stehen. Da springen vier Kerle raus. Zwei glotzen auf die Karre. Zwei andere Glotzen zu uns.

„Hauen wir ab?“

„Die sind doch noch Kinder. Und wir haben das Bier,“ meint Steffen.

„Das bezahlt ihr uns!“ motzt einer.

„Einen Scheiß!“ brüllt Steffen.

Die kommen jetzt auf uns zu. Und Steffen rennt jetzt auf die zu. Ich auch. Und Steffen haut. Und ich auch. Und die wissen gar nicht, wie denen geschieht. Und die liegen jetzt am Boden. Steffen brüllt etwas. Dann gehen wir zurück zur Schubkarre. Die Jungs liegen immer noch auf der Straße. Andere Autos halten an. Wir nicht. Wir gehen zu meiner Wohnung.

Wird nichts

„Die sind doch zum Kacken zu blöde. Warum können die nicht? Warum? Was sollen die noch machen? Die ganze Mannschaft austauschen? Das ist doch nicht deren…,“ motzt Steffen über den Rückstand. Beim 1 zu 0 war er noch entspannt. Aber dieses dritte Gegentor lässt ihn ausrasten.

Mich nicht. Wer nichts erwartet, braucht sich auch nicht aufregen.

„Jetzt müssten noch mal diese Pisser kommen,“ meint er.

„Denen haben wir ganz schön zugesetzt,“ sorge ich mich.

„Haben die nicht anders verdient.“

Dann klingelt es. Ich gehe zum Spion. Ich sehe zwei Personen in Uniform. Sind jünger als wir. Sind zwei Bullen. Langsam gehe ich wieder zur Glotze.

„Da stehen zwei Uniformierte vor der Tür. Mach mal leise.“

„Was wollen die?“

„Keine Ahnung was.“

„Haste was angestellt?“

Es klopft gegen die Tür. Ist so ein ekliges Klopfen. So eins, dass die Tür zusammenkrachen lassen würde. So eins, das einen Angst bereitet.

„Herr Bräuer? Herr Bräuer, machen Sie uns mal auf. Wir hätten da ein paar Fragen an Sie. Und ihr Freund Herr Hartwig ist doch sicherlich auch da. Den wollen wir auch sprechen,“ dröhnt da ne Stimme einer Polizistin.

Ich halte meinen Finger auf die Lippen. Steffen macht es mir nach.

„Und jetzt?“ flüstere ich.

„Die sind bestimmt wegen der Penner da. Wir müssen abhauen,“ beschließt Steffen. Der steht schon an meinem Fenster nach hinten. Hat das auch bereits auf. Dahinter ist der Garten von den Mietern unter mir. Die sind gerade nicht da. Haben Kinder. Und samstags sind die immer auf Tour. Die sparen für was eigenes. Deshalb hier diese Wohnung auf dem Dorf. Ist so schön günstig. Für die. Der hat nen guten Job. Für mich ist auch das Wucher.

Steffen schwingt sich bereit heraus. Der klettert ganz fein herunter. Ich packe mir noch Smartphone, etwas Geld und Schlüssel. Dann bin ich auch unten. Durch den Garten in den nächsten Garten dahinter und dann raus auf die Straße dort. Sind jetzt zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt.

„Scheiß Dorf Leben. Da hat uns irgendwer verpfiffen. Sonst hätten die unseren Namen nicht.“

„Noch ist die Messe nicht gelesen. Lass uns mal in ne Kneipe. Dann haben wir ein Alibi,“ schlägt Steffen vor.

„Ein Alibi? Wird doch keiner bezeugen können, dass wir dann so lange da waren.“

„Das kann doch eh keiner und da müssen wir wenigstens nicht verdursten.“

„Ist aber bis zum Eck so weit.“

Mein Einwand wird von Steffen nicht mehr wahrgenommen. Der geht schnellen Schrittes voran. Geht auch schneller als gedacht und schon sind wir am deutschen Eck.

Der alte Manfred hängt am Automaten und raucht. Sonst ist da niemand.

„Was wollt ihr?“ meint Krone. Das ist der Wirt. Dem gehört das schon Jahre. Der sieht auch schon aus wie die Kneipe.

„Zwei Gezapfte.“

„Aber Kohle habt ihr? Euch lasse ich nicht anschreiben. Da warte ich bis Ostern.“

Ich lege nen 20er auf den Tisch. Krone schnappt sich den. Er weiß, dass wir alles versaufen werden, was wir haben. Könnte uns eigentlich ne Flatrate geben.

Dann Lärm von draußen. Und jetzt auch drinnen. Ist die Freiwillige Feuerwehr. Die hatten heute Dienst. Jetzt wollen die saufen.

„Was ist denn, wenn es brennt?“ provoziert Steffen gleich.

„Du brennst doch, wenn du weiter laberst, lösche ich dich,“ wirft ihm Michael entgegen. Wir sind mit Micha zur Schule gegangen. Der ist Automechaniker geworden. Und leidenschaftlicher Feuerwehrmann. Der ist ein Kopf größer als wir. Und ein Arschloch. Steffen und der haben sich immer in der Wolle.

„Du Wurm,“ meint Steffen. Er lacht. Dann steht Michael vor ihm. Er packt ihm am Kragen.

„Bist auch nur noch so eine Portion. Solltest mal das Saufen lassen.“

Michael hebt Steffen an. Der baumelt jetzt in der Luft. Wir sind echt halbe Portionen geworden. Zu viel Arbeit, zu viel Bier, zu wenig richtiges Essen.

„Für dich reicht es. Solltest mal die Jungs sehen, die wir heute auseinandergenommen haben,“ sagt Steffen. Der erzählt wieder zu viel.

„Ihr wart das? Habe ich mir doch gleich gedacht,“ hat Krone mitgehört. Der nimmt sein Smartphone in die Hand. Der ruft jemanden an. Die Bullen!

Kein Bier auf Hawaii

Da plätschert der Mittellandkanal. Die braune Soße ist vom letzten Schiff aufgewirbelt. Irgendetwas muss damit hochgekommen sein. Ein paar Krähen fischen da gierig rum.

„Und jetzt?“ frage ich.

„Keine Ahnung. War etwas übertrieben,“ meint Steffen.

Der blutet etwas über der Stirn. Hat da nen Schlag vom Micha abbekommen. Darauf habe ich Micha einen mit meinem Bierglas gegeben. Der ist dann zu Boden und die anderen auf uns. Aber Steffen und ich hatten die Barhocker. Damit haben wir auf die Eingestochen und auch sonst alles geworfen, um die los zu werden. Und dann halt raus und Beine in die Hand. Krone hat uns noch hinterhergerufen, dass wir dran wären und die Bullen uns schon kriegen würden. Und jetzt sind wir hier. Sind seit über einer Stunde unterwegs. Irgendwo am Mittellandkanal. Um uns nichts.

„Eigentlich haben wir nur zwei Möglichkeiten. Weitermachen oder stellen,“ meint Steffen.

„Wie wollen wir weitermachen?“

„Hamburg.“

„Hamburg? Und dann?“

„Dann schauen wir.“

„Klingt blöde,“ werfe ich ein.

„Alternative ist der Bunker. Die lochen uns 100% zunächst ein.“

„Aber doch nicht wegen der Prügeleien.“

„Scheinbar suchen die uns. Und wir sind auf der Flucht. Solche lochst du immer ein.“

„Ich will nicht in den Bau.“

„Meinste ich? Da gibt’s kein Bier,“ meint Steffen.

„Also Hamburg,“ beschließe ich. Ich stehe auf. Wir gehen in Richtung Wolfsburg. Müsste so 10 KM weg sein, aber nur Feld und Wiesen. Wir reden kaum. Weil wir beide nicht mehr können. Weil wir Durst haben.

In Wolfsburg steuern wir ne Tanke an. Dabei immer unruhig. Immer alles im Blick. Nur ich gehe da hin. Steffen steht draußen Schmiere. Ich versuche dem Verkäufer nicht in die Augen zuschauen. Nur auf den Boden wegen der Kameras. Ich lege die 6 Dosen Bier auf die Ladentheke.

„Kann ich hier auch was abheben?“ will ich wissen.

Der nickt. Ich hebe 1000 Euro ab. Mehr kriege ich nicht. Und jetzt werden die Bullen noch nicht unsere Kontoaktivitäten prüfen.

Draußen trinken wir jeweils gierig ne Dose. Dann auf zum Bahnhof.

„Den letzten Zug können wir kriegen. Dann Bye Bye hier und Moin Hamburg,“ meint Steffen.

Und wir kriegen den wirklich. Wir sitzen im Regio nach Hannover. Von da geht’s dann nach Hamburg. Und dann? Keine Ahnung. Aber uns wird schon was einfallen.

Und der Zug rollt. Und dann in Fallersleben. Wir sehen es gerade noch so. Da steigen die ein. In allen Waggons. Bullen. Immer zu zweit.

„Fuck,“ sage ich. Aber dann sind schon welche im Abteil. Und der Zug rollt wieder. Und wir stehen beide auf. Wir suchen nach so nem Hammer und der Notbremse. Aber eine Brünette schubst uns auf nen Platz. Und ne Blonde steht da jetzt auch. Und zwei Typen mit Milchgesicht.

„Wir haben die,“ meint eine in so ein Mikro.

„So ein Aufwand wegen ein bisschen Prügel, kommt schon? Ist das nicht drüber?“ versucht es Steffen.

„Gegen Sie beide wird wegen zwei Tötungsdelikten ermittelt. Kommen Sie jetzt,“ sagt die Blonde. Dann zieht die erst mich und dann Steffen hoch. Die schubst uns in die Arme ihrer Kollegen.

Mein Herz pumpt. Tötungsdelikt. Mord. Und das alles wegen Fußball und Bier.