Rosenkavalier

„Die sind alle das Letzte. Wirklich alle. Hörst du?“

Mama schaut mich dabei ernst an. Sie schaut eigentlich immer ernst. Aber wenn es um Männer geht, dann hat sie eine noch finstere Miene als ohnehin schon. Kann ich verstehen. Die hat da so einiges durchgemacht. Also so richtig viel. Ich kann mich da nur an Weniges erinnern. Auch mehr so an Fetzen. Aber die muss gelitten haben.

„Ja,“ gebe ich zu. Ich schaue kurz in den Himmel. Es ist ein warmer Maiabend. Mama und ich sitzen draußen im Garten. Ich rauche. Sie trinkt einen Prosecco.

„Gut. Deshalb sind wir ja auch hier. Hier sind wir sicher. Hier haben wir uns.“

Sicherheit. Mama ist meine Sicherheit. War sie schon immer. Und ich habe ja nur Mama. Schon seit fast 30 Jahren. Und dabei schon so viele Enttäuschungen gehabt. Von Freundinnen und hauptsächlich von Männern. Die wollen nur das eine. Und dazu auch noch bestimmen. Wer ich sein soll. Was ich zu tun habe. Es ist einfacher, wenn ich mich nicht an denen orientiere. Es ist einfacher, ohne die zu leben. Ich habe Mama. Da brauche ich nicht viel anderes.

Oskar kommt um die Ecke. Oskar ist Mamas Ehemann. Irgendwie mein Ersatzvater seit 20 Jahren. Mama zog mit mir gleich nach der Trennung von meinem Erzeuger zu ihm. Oskar ist ein Trottel. Aber Oskar hat irgendwie Geld. Hat nie etwas ausgegeben und immer gut verdient. Oskar trinkt nicht. Oskar hat keine Ansprüche. Oskar existiert einfach. Ich glaube, Oskar hat meine Mama nur geheiratet, weil es normal ist, dass man jemanden hat. Irgendwie mag ich Oskar deshalb. Weil ich auch nur deshalb nach jemanden suche. Weil es so normal ist.

„Was willst du?“ fragt meine Mama.

„Mein Handy. Das geht nicht. Ist aus,“ sagt er. Er hat so etwas Kindliches. Der ist irgendwie nicht überlebensfähig. Ohne meine Mama wäre der nichts.

„Bist wieder zu blöde. Seit du in Rente bist, geht dein Gehirn aus. Wird immer kleiner,“ meint Mama und lacht.

Oskar steht vor uns wie ein Schuljunge, der eingemacht hat. In seiner Hand hält er das Smartphone.

„Jetzt gib schon her,“ fordert meine Mama. Sie ist knapp zehn Jahre jünger als Oskar. Und davon sieht sie auch noch einmal knapp zehn Jahre jünger aus als sie eigentlich ist. Sie wurde schon oft für meine große Schwester gehalten.

Oskar reicht ihr das Handy.

„Ist tot. Da brauchst du den PUK. Steht doch dort. Und weißt wieder nicht, wo du den hast, was?“

Oskar überlegt. Man sieht in seinem Gesicht wie er nachdenkt. Der ist ein Trottel.

„Nein, weiß ich nicht.“

„Im Arbeitszimmer. Da ist ein roter Ordner. Ein roter, hörst du? Da wird der PUK drinnen sein. Da schaue mal nach.“

Oskar dreht ab. Der verschwindet wieder im Haus. Ich zünde mir ne neue Zigarette an.

„Du rauchst zu viel. Musst aufhören. Habe ich auch geschafft,“ sagt Mama. Sie legt dabei zärtlich ihre Hand auf meine Schulter.

Jetzt fährt ein Auto vor. Es klingelt an meiner Tür. Ich wohne direkt in der Etage über Mama und Oskar. Obwohl? Eigentlich wohnen wir alle zusammen. Meine Etage ist mehr wie ein großes Zimmer. Da ist zwar ne Küche, aber ich esse immer mit Mama. Die kocht so lecker.

„Er ist da,“ sage ich.

„Und denk dran. Die sind alle Schweine,“ meint Mama. Dann grunzt sie. Sie lacht. Ich lache auch. Sie ist so witzig. Und das bei allem, was mein Erzeuger ihr angetan hat. Wie er sie angeschrien hat. Wie er immer besoffen war. Wie er die Einrichtung demolierte. Wie er ihr Geld in den Automaten verzockte. Ich verstehe, warum sie den verlassen hat. Ich verstehe, warum sie nicht wollte, dass ich Kontakt zu ihm aufnahm. Ich verstehe Mama so sehr, dass ich ihr jetzt schon ein schlechtes Gewissen gegenüber habe, dass ich mich mit Robin treffe.

Ich gehe zur Tür. Ich mache auf. Robin steht da. Robin hat in der einen Hand einen Strauß Rosen. In der anderen hat er eine Einzelne.

„Der Strauß ist für dich. Die Einzelne würde ich gern deiner Mutter überreichen,“ sagt er.

Wir gehen zu meiner Mama in den Garten.

„Die ist für Sie,“ sagt Robin.

„Damit kriegst du mich aber nicht rum. Und meine Tochter auch nicht,“ meint Mama.

„Sollte nur eine Geste sein,“ rechtfertigt sich Robin.

„Ein Geste? Eine Geste. Nen Rosenkavalier biste. So ein richtiger. Das ich nicht lache,“ meint Mama. Sie nimmt ihm die Rose ab.

Ich ziehe Robin in meine Etage.

„Ich finde die schön. Danke,“ sage ich dort zu ihm und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.

Willst du viel, spül mit Pril

Ich summe eine Melodie. Ich weiß nicht von welchem Song. Ich weiß nicht warum. Ich fühle mich einfach nach Summen.

„Da ist mal jemand gut gelaunt,“ meint Geraldine.

„Ja, ne.“

„Gibt es einen Grund?“

„Nur so,“ antworte ich. Ich räume die Spülmaschine aus. Das macht sonst keiner in der Gemeinschaftsküche. Normales Verhalten in einem Großraumbüro. Ein Dummer findet sich immer. Hier bin das ich.

„Komm schon. Da gibt’s nen Kerl. Haste nen Neuen? Erzähle schon.“

Ich überlege. Geraldine und ich sind Kolleginnen. Nicht mehr. Seit circa einem Jahr. Sie ist nicht von hier. Sie ist aus dem Pott. Das hört man. Das merkt man. Die lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Die hat Haare auf der Zunge. Ich mag das. Weil sie sich vorm Chef auch mal für mich einsetzt. Und irgendwie mit allem auch für alle.

„Ja.“

„Ja? Und weiter? Wie heißt er? Was macht der? Und vor allem, wie sieht er aus?“

Ich erzähle ihr von Robin. Dabei wird’s mir ganz warm.

„Vielleicht endlich Mister Right. Habt ihr schon?“

„Haben wir was?“

„Na, du weißt schon.“

Ich werde rot.

„Ist schon Kaffeekränzchen?“ motzt jemand. Ist der Supervisor.

„Jemand muss sich ja um die Spüle kümmern,“ wirft Geraldine gleich ein.

„Aber nicht jetzt. Die Line brennt. Also hopp an die Hörer. Die drehen gerade durch. Ein Anruf nach dem nächsten. Ist ne Großstörung,“ meint der Supervisor. Der schaut uns an. Der erwartet, dass wir alles stehen und liegen lassen. Machen wir dann auch.

Nach fast zwei Stunden Dauertelefonie wird’s ruhiger.

„Du schuldets mir noch ne Antwort. Habe ich nicht vergessen,“ sagt Geraldine. Sie schaut über die Lärmschutzwand zwischen unseren Arbeitsplätzen.

Mein Handy vibriert. Ne WhatsApp von Mama. Sie bittet um schnellen Rückruf.

„Später. Ist gerade wichtig,“ sage ich zu Geraldine. Ich verschwinde auf den Flur.

„Oskar ist tot,“ sagt mir Mama.

„Ich komme gleich,“ antworte ich. Und irgendwie ist alles um mich herum ganz still. Ganz bedeutungslos.

Zu Hause sehe ich Oskar. Der liegt auf dem Boden der Küche. Mama sitzt am Küchentisch. Die schaut auf Oskar herab. 

„Wie?“ will ich wissen.

„Ist umgefallen. Die Organe. Haben versagt. War wohl die Leber. Konnte nicht mehr.“

„Deshalb ist der so gelb geworden.“

„Kann sein. Wollte ja nicht hören. Wollte nie zum Arzt. Dummer, alter Mann.“

„Und jetzt?“ frage ich.

„Die holen den gleich. Dann ist er raus,“ meint Mama kühl. Sie steht auf. Sie geht zum Spülbecken. Sie spritzt Pril hinein. Dann lässt sie Wasser einlaufen.

„Und was machen wir?“ irgendwie habe ich Angst, dass wir hier raus müssen. Das Haus gehörte ja schon Oskars Eltern. Und irgendwie finde ich es gerade falsch, hier zu bleiben.

„Wir bleiben hier. Natürlich. Ist jetzt unser. Endlich,“ sagt meine Mama.

„Okay.“

„Jeden Tag immer einen Schuss Pril. Dauert. Ist aber so sicher wie das Amen in der Kirche. Schmecken die in Soßen nicht raus,“ sagt meine Mama. Sie wäscht weiter ab. Sie wirkt glücklich.

Baby Born

„Aber… Ich verstehe das nicht,“ meint Robin. Der schaut einfach nach draußen. Einfach in die Innenstadt. Dann nimmt der nen Schluck aus der Tasse. Sahne hängt an seinem Bart.

„Es ist so,“ sage ich. Ich schaue ihn an. Ich erwarte nen Blick. Irgendetwas. Aber der sammelt seine Gedanken.

„Das kann doch auch gar nicht sein. Wir hatten nur einmal.“

„Du warst der einzige im letzten halben Jahr. Kein anderer. Ich bin nicht so eine,“ beteure ich.

Ist auch so. Kommt sehr selten vor, wenn ich Lust auf Sex habe. Hatte ich eigentlich meistens nur, um die Männer nicht zu verlieren. Bei Robin wollte ich wirklich. An dem Tag hat es überall gekribbelt. Und der sah so schön aus. Hat so gut gerochen. Und er hatte seine Wohnung extra geputzt. Da war alles perfekt.

„Und warum hast du so lange gewartet? Deine Tage müssen doch schon mehrfach ausgesetzt haben.“

Er sieht mich jetzt grimmig an. Ich weiche dem Blick aus. Ich weiß es ja selbst nicht. Ich habe mich gefürchtet. Deshalb bin ich nicht zum Arzt. Deshalb habe ich nicht getestet. Deshalb habe ich mit niemanden darüber gesprochen. Was niemand bestätigt, kann nicht wahr sein. Aber jetzt war ich bei Frau Dr. Schobel. Routinetermin. Und da hat sie mich getestet. Da war klar, dass ich im 4 Monat bin.

„Das ist halt passiert. Ich habe mir nichts dabei gedacht.“ Lüge ich.

„Oder ist das so ein abgekartetes Spiel? Du suchst dir einen aus und der darf dann für dich und das Kind zahlen?“

„Nein.“

„Dir ist doch klar, dass ich nen Test will, oder? Vorher erkenne ich keine Vaterschaft an. Vorher siehst du keinen Cent,“ sagt Robin.

Er steht dann einfach auf. Er geht. Er verlässt das Café. Kein Blick zu mir. Ich sitze da jetzt allein. Mit dem Kind im Bauch, seinem unbezahlten Café mit Sahne und meinem Orangen-Saft. Ich weine. Das kommt einfach so raus.

„Kann ich etwas für Sie tun?“ fragt mich die Bedienung.

„Nein, nur schnell zahlen,“ antworte ich. Die erfüllt mir sofort den Wunsch.

Ich fahre mit dem Bus nach Hause. Ich heule die ganze Zeit. Ich kann es nicht zurückhalten. Nicht verbergen vor all den anderen. Und irgendwie will ich das auch nicht. Ich will einfach von jemanden in den Arm genommen werden.

Zu Hause sieht mir Mama gleich an, dass etwas nicht stimmt. Sie nimmt mich in den Arm. Das ist wie Balsam für die Seele.

„Was ist denn?“ will sie wissen. Sie hält dabei mein Gesicht. Ich krieg es nicht raus.

„Na sag schon mein Kind. Was ist denn?“

„Mama.“

„Erzähl mir.“

„Ich bin schwanger.“

Jetzt wird es noch schlimmer. Ich kriege kaum noch Luft. So sehr muss ich schluchzen.

Mama schaut mir fest in die Augen. Als würde sie das eben Gesagte irgendwo nachlesen wollen.

„Kind, wiederhole das.“

„Ich bin schwanger. Und schon im vierten Monat.“

„Im vierten Monat. Jesus Christus,“ sagt meine Mama. Sie wendet sich von mir ab. Ich sehe ihren Rücken. Das kommt mir vor wie eine Ewigkeit.

Dann dreht sie sich um. Sie boxt mir in den Bauch. Sie wiederholt den Schlag. Das tut so weh.

„Kind, das muss sein. Ich lasse nicht zu, dass du dein Leben so ruinierst wie ich. Das passiert uns kein zweites Mal.“

Sie schlägt weiter zu. Ich sacke zusammen. Ich liege auf dem Boden. Sie tritt mir in den Bauch.

„Es tut mir so leid,“ wiederholt sie unter Tränen.