Was man so hört

Im zweiten Stock schreien die wieder. Beide. Er ganz tief. Sie ganz schrill. Das sind miese Worte. Die ganze Schimpfwortpalette. Und dann knallt es immer zwischendurch. Und erneutes Schreien von beiden signalisiert mir, dass da niemand gegen die Wand geworfen wurde.

Die beiden sehen normal aus. Den würde man nicht zutrauen, dass die sich das Leben zur Hölle machen. Aber vielleicht ist es ja auch normal, sich so zu verhalten.

Ich kann es nicht bewerten. Ich kenne keine Partnerschaft mehr. Ist so lang her. Hat es mich genervt? Kein Plan. Ich weiß nur, dass Alleinsein auch scheiße ist.

Vor ner Woche habe ich einen Artikel auf Spiegel-Online gelesen. Singles sollen glücklicher sein. Die verdienen mehr. Haben mehr Zeit für sich. Und sind gesünder. Wie scheiße muss man sich dann in ner Partnerschaft fühlen?

Ich schnappe mir meine Adidas-Jacke. Dann schlüpfe ich in die Chucks. Vom Dritten husche ich am Zweiten vorbei.

„Fotze!“ wirft er ihr entgegen.

„Faules Arschloch!“ höre ich die hinter der Tür antworten.

Warum ist man zusammen, wenn man sich so verhält?

„Da oben ist wieder Terror,“ meint Frau Kowalski und zeigt nach oben. Die steht wie immer am Briefkasten.

„Ganze Zeit schon.“

„Dabei ist das so ne Süße. Suchen Sie nicht? Schnappen Sie sich doch die,“ rät sie mir. Die ist schon verrückt. Die gibt immer Ratschläge von sich. So die ganz schlauen. Und die will mich vermitteln. Scheint ihre Aufgabe zu sein, nachdem ihr Mann im letzten Jahr an Krebs gestorben ist. Die hat niemanden. Keine Kinder. Die sind beide bei nem Unfall gestorben. Waren mit dem Auto auf dem Weg zu nem Konzert in Magdeburg. Und dann kam dieses Stauende. Und dann dieser LKW. Und der nächste. Einmal im Monat hört man auch die Kowalski durchs Haus schluchzen. Wie in so einem Horrorfilm.

„Ist ja vergeben,“ werfe ich ihr entgegen. Und irgendwie stelle ich mir kurz ne Beziehung mit der vor. Wie sie in meinen Armen Ruhe findet. Wie ich sie rette. Aber dann steht der Kerl vor meiner Tür. Hämmert dagegen. Tritt die ein und schlägt mich dann zu Brei. Die Guten werden immer verkloppt. Da bleibe ich lieber Ich. So belanglos.

An der Bushaltestelle stelle ich fest, dass ich meine Kopfhörer nicht aufgeladen habe. Wann haben wir entschieden, lieber Bluetooth als Kabel zu verwenden. Es macht ja in den meisten Fällen Sinn, aber bei Kopfhörern? Da musste ich mir nie über den Akkustand Gedanken machen. Einfach ins Handy reingesteckt und Musik an. Klar, sah kacke aus und man verfing sich im Kabel, aber das verschwendete keinen Strom. Was kostet so ne Akkuladung Kopfhörer überhaupt?

Der Bus kommt. Platz ganz hinten. Wie früher.

Ich scrolle durch die Artikel auf Sportbild. Checke Insta.

„Töten müsste man den,“ höre ich da nen Mädchen quatschen.

„So was in den Arsch stecken,“ antwortet eine andere.

„Ja, der hat einfach gerotzt. Mir so voll ins Gesicht.“

„Dafür muss der büßen. Arschkind.“

Ich versuche mich auf das Motorsummen zu konzentrieren. Aber die durch Kraftausdrücke überfüllten Rachepläne der beiden Mädels übertönen alles. Das widert mich an. Wie sind wir Menschen nur so zueinander geworden? Oder waren wir schon immer so.

„Was guckst denn so?“ bemerkt eine von den Mädels, dass ich die ansehe.

„Brauchst gar nicht wegsehen. Bist ein perverser Opi, wa? Willst dir auf uns einen runterholen. So einer biste,“ macht jetzt auch die andere mit.

Ich schaue aus dem Fenster. Ich wünsche mir, dass jemand etwas sagt. Das so ein Elternteil dazu kommt und die beiden dazu zwingt, sich bei mir zu entschuldigen. Aber nichts.

„Opfer, noch nie gefickt,“ meint die eine. Dann lachen die. Dann haben die mich satt. Dann steigen die an der nächsten Haltestelle aus.

Ich brauche noch drei weitere. Kurze Sicherheit. Dann steige auch ich aus.

Moritz winkt mir schon zu. Der sitzt draußen vorm Sausalitos. Die Ketten haben die kleinen Bars vernichtet. Happy Hour und billig Schnaps. Hauptsache es knallt. Kann ich nachvollziehen. Ein Long Island Ice Tea steht schon parat.

„Und da bin ich gerade dran. Geht um das Kleine. Um das Wichtige. Das wird was ganz Großes. Nen guten Roman macht Recherche aus. Und das gute Schreiben über das augenscheinlich Bedeutungslose,“ sinniert Moritz über seine Schriftstellerkarriere.

„Aber wer liest das? Ich will Action. Immer,“ wende ich ein.

„Action ist vergänglich. Kunst bleibt.“

„Damit verdienst du aber nichts.“

„Damit bleibe ich unsterblich. Das werden die feiern,“ meint Moritz.

Ich wende da nichts ein. Ich verstehe nichts vom Schreiben. Und schon gar nicht von Kunst und Kultur. Ich kann saufen und auf dem Sofa liegen. Darin fühle ich mich wohl. Und ich bereue es schon, nicht mit nem 6er Becks auf dem Sofa zu gammeln.

Wenn man es nicht glaubt

Wieder mit Moritz bei so einer Lesung. 10 Menschen sind da. Er hat irgendetwas von einem entlaufendem Oktopus geschrieben. Das liest der. Die lachen erst alle. Und dann sind die ganz ernst. Und Moritz auch. Ich verstehe nichts. Ich grübele darüber, wie lange so ein Oktopus an Land überleben kann. Und dann diese Bilder aus dem Italienurlaub 2002. Da, wo die Fischer die Oktopusse so auf die Straße geknallt haben, um die zu töten. Wir Kinder fanden das cool. Die Fischer fanden sich cool. So mit ner Kippe im Maul und nem Kadaver in der Hand. Und dann denke ich an diesen Podcast-Typen. Der Typ, der etwas von so vielen Penissen bei Oktopussen erzählte. Und dann sind da die Tintenfischringe von heute Mittag. So frittierte, die man dann im Backofen schnell macht. Und mir wird schlecht. Weil Oktopusse doch toll sind. Und lebendig. Und ich die so esse. Und die bestimmt so ätzend umgebracht wurden. Und man sollte nichts töten, was toll ist.

„Noch ein Pils,“ sage ich dem Typen von der Bar. Der stellt es mir gleich hin. Zeigt mir drei Finger.

„Wir war ich?“ will dann Moritz wissen. Ich brauche nicht zu antworten. Da quatscht ihn eine voll. Will ein Autogramm. Und die bleibt bei ihm. Und ich bei meinem Bier. Bestelle mir noch eins. Und Moritz redet nur mit der. Und die lachen. Und die sind ernst. Und ich bin Ballast.

Ich werfe mich selbst ab.

„Ich werde noch wohin,“ erkläre ich kurz.

Ich bin draußen. Noch ein Abstecher ins Il Cavaliere. Irgendwo Hoffnung, auf eine Frau. Nicht Sex. Nur jemand, der mir zuhört. Das reicht schon. Irgendeine, der ich von den Oktopussen erzählen kann oder von dieser Welt oder einfach davon, dass ich dank Tarifvertrag 2,8% mehr Gehalt bekomme.

Da wartet natürlich niemand auf mich. Die sind alle schon zusammen. Und auch da bin ich nur Ballast. Ballast für das Lokal. Also wieder raus. In so ein Taxi.

„Wie weit fährst du mich für nen 10er?“

„Die Straße runter,“ sagt der Fahrer und lacht.

Der fährt mich vier Straßen. Ich gebe ihm nen 20er. Dann gehe ich die anderen vier Straßen allein. Es regnet leicht. Aber so, dass es einen nicht stört. Das es sogar kühlt. Und so, dass man sich nachts sicher fühlt. Weil man weiß, dass da niemand raus geht. Weil die denken, der Regen wäre nass und kalt.

Kurz vorm Block zieht der Schreihals an mir vorbei. Der ist wie so ein wütender Stier. In seiner Hand ne Sporttasche. Da schauen Ärmel raus.

„Fotze, vermissen wirst du mich. Fotze,“ murmelt der.

Ich öffne die Haustür. Rauf auf die Treppe. Dann knallt etwas gegen meinen Kopf.

„Fuck,“ brülle ich. Das war so ein Turnschuh. So einer, den die Pumper tragen. Und der hat mich direkt über dem Augen getroffen.

„Oh nein, oh nein, war nicht meine Absicht,“ sagt die, die auch so gerne brüllt.

„Kein Ding.“

„Du blutest ja. Komm schnell rein,“ sagt die und sie zieht mich in die Wohnung. Es riecht nach Zigaretten. Sie schubst mich auf das Sofa. Dann holt sie ne Packung Pommes aus dem Eisfach. Die legt sie mir drauf. Jetzt sehe ich, dass die nur nen Bademantel anhand. Den auch nur leicht zugemacht.

„Ich habe denn endgültig rausgeworfen. So geht man nicht mit mir um,“ meint die zu mir.

„Habe ihn noch gesehen.“

„Den Schlüssel habe ich hier. Der und ich sind Geschichte,“ meint die.

Mir tut der Kopf weh.

„Du bist Malte und wohnst über uns, nicht?“

„Jap.“

„Bin Kerstin. Muss uns oft gehört haben?“

„Jap.“

Und irgendwie rutscht ihre Brust aus dem Bademantel raus. Und ich muss dahingucken. Und Kerstin sieht das. Und dann macht die den Bademantel ganz auf. Und ich kann da überhaupt nicht mehr wegschauen. Ich bin hypnotisiert.

„Gefällt dir?“

„Jap.“

Und dann sitzt die auf mir. Sie zieht mich aus. Und ich weiß gar nicht, was ich denken soll.

„Das ist ein Neuanfang. Und ein konsequentes Ende,“ erklärt sie.

Und meine Hände sind an ihren Brüsten. Und wir küssen uns. Und sie ist laut. Aber anders als ich es sonst von ihr kannte.

Wie überall

„Die Liebe. Sehnen wir uns nicht alle danach? Wenn es einen Sinn gibt, dann muss dieser die Liebe sein. Alles andere wäre doch sinnlos,“ schwafelt Moritz.

„Ist auch nur ein Konstrukt. Oder meinst du, dass die Menschen vor 500 Jahren aus Liebe zusammen waren?“ werfe ich ein.

„Du wieder. Jetzt hast du Glück und bist immer noch nicht zufrieden.“

„Immer dieses Streben nach Glück und Zufriedenheit. Kann man nicht einfach nicht Alleinsein wollen?“

„Ich sehe im Alleinsein die Stärke. Daraus schöpfe ich meine Kraft. Einsamkeit macht mir Angst.“

Das ist mir wieder zu oberflächlich philosophisch. Moritz redet zu oft wie Kalendersprüche. Da möchte ich den auch einfach abreißen. Zum Glück kommt so ein tätowierter Typ an unseren Tisch. Ist Till. Moritz macht oft was mit dem. Mir ist der zu anstrengend. Der hat nur ein Thema.

„Hier sind keine Weiber. Aber da im Congress-Park ist Ü-30 Party. Da sind Weiber. Da haben wir so richtig kaputte klargemacht. Seid ihr dabei?“ will Till wissen. Der sieht schon aus wie ein sabbernder Rottweiler. Und Moritz sabbert jetzt auch.

„Lasst mal. Geht ohne mich. Ich werde nach Hause.“

„Malte hat jetzt ne Alte,“ erklärt Moritz.

„Mal schauen, für wie lange. Dann viel Spaß,“ sagt Till und lacht. Dann verlassen die beiden die Wunderbar.

Ich trinke noch aus. Dann geht’s mit dem Taxi nach Hause. Irgendwie freue ich mich. Ist schon schön, wenn da jemand bei einem ist. Und Kerstin wohnt jetzt bei mir. In ihrer alten Wohnung sind jetzt irgendwelche Studenten. So junge Kerle. Ganz zielstrebig. Ein Studium reichte denen nicht. Deshalb haben die das mit ner Ausbildung kombiniert. Habe ich von Frau Kowalski. Die muss ja immer alle ausquetschen.

„Kommst auch mal nach Hause,“ wirft mir Kerstin vor. Ich will sie küssen. Aber die zieht zurück.

„Boah, du stinkst wie ne Kneipe.“

„Ich hatte nur zwei Bier,“ lüge ich.

„Wer es glaubt.“

Ich küsse sie trotzdem auf die Stirn. Dann gehe ich ins Badezimmer. Ich putze mir die Zähne. Ich bin scharf auf Kerstin. Deshalb haue ich mir noch Deo unter die Achseln. Dann setze ich mich zu ihr aufs Sofa. Sie greift nach dem Feuerzeug und zündet sich ne Kippe an. Jetzt wird in meiner Wohnung geraucht.

„Hast wenigstens den Arsch verprügelt?“ will sie wissen.

„Ist doch nicht dein ernst?“

„Doch, der war kacke zu mir und ich erwarte von meinem Macker, dass er alle verprügelt, die kacke zu mir sind,“ meint die. Die schaut mich an. So ganz ernst. Und ich sehe mich gedanklich. So ohne Muskeln. Und ohne Mut. Und dann sehe ich ihren Ex. Diesen durchgeknallten Choleriker.

Ich lache. Ist immer so ein blödes Mittel von mir, wenn ich nicht weiter weiß.

„Grins nicht so. Das ist ja überhaupt nicht männlich. Der war richtig scheiße zu mir und du nimmst das einfach so hin.“

„Das war vor mir.“

„Ich würde das auch machen. Aber du hattest ja keine Weiber.“

„Was soll das bringen?“

„Wie, was soll das bringen? Der muss lernen, dass man so nicht mit mir umgeht. Der braucht ne Strafe.“

„Komm schon,“ sage ich. Ich will Kerstin küssen. Die schubst mich weg.

„Kannste knicken. Mit nem Waschlappen ficke ich nicht,“ beleidigt die mich jetzt.

„Warum bist du denn jetzt so?“

„Warum ich so bin? Guck dich doch mal an. Schau doch mal in dein verkacktes Leben! In unser scheiß Leben und das alles nur, weil du so bist. Ein Pisser bist du. So ein ganz feuchter.“

Die redet sich jetzt in Rage. Die schreit. Die beleidigt. Ich gehe ins Schlafzimmer. Kerstin folgt mir. Ich gehe ins Badezimmer. Die folgt mir weiter. Ich gehe ins Treppenhaus. Die schreit mir nach. Am Briefkasten steht Frau Kowalski. Die schüttelt mit dem Kopf.

„Behandeln Sie die mal etwas besser. Schenken Sie der mal Blumen,“ rät die mir doch.

Ich gehe raus. Ich will allein sein.