Ich muss wieder krank machen. Der Job macht mich fertig. Nur Hackfressen. Nur Pisser.

Und über was für eine Scheiße die quatschen. Wen interessiert schon Fußball? Ich habe keine Ahnung was Bayern München ist und warum die den Fußball kaputt machen. Ich verstehe nicht, warum sie Fred deshalb in der Pause so nieder gemacht haben.

Wie die Hyänen haben sie sich auf ihn gestürzt. Begriffe wie fehlende Identität, Erfolgsfan und Blender nach ihm geworfen. Schwere Geschütze für Rassisten, Sexisten und einfach nur Idioten.

Und dieser verfluchte Job. Auf Teile warten. Teile annehmen. Teile in ein anderes Teil stecken. Und schon ist das nächste da. Nicht zu langsam. Sonst dreht der Meister durch. Nicht zu schnell. Sonst stürzen sich die Kollegen auf einen.

Also was nun? Ich kriege gar nicht so viele Pausen, wie ich rauchen möchte. Kotze.

Also scheiß auf den Bus. Da sitzen nur noch mehr von den Affen.

Ich gehe. Es ist heiß genug. Neuer Schweiß mischt sich mit dem Alten. Dem Angekrusteten. Ich gehe am Mittellandkanal entlang. Unter einer Brücke sehe ich ne Alte Fotos schießen. Vom Pfeiler. Von der Chromebombe auf dem Pfeiler. Von meinem Bild auf dem Pfeiler.

Was macht die da? Ist die von den Bullen? Sie sieht nicht aus wie eine Bullenschlampe. Dazu ist sie zu fett. Dazu ist sie zu schlecht gekleidet. Also warum fotografiert sie mein Bild.

„Hey, hey du, was soll denn das hier werden?“ will ich wissen.

Sie schaut mich an. Sie macht keine Anstalten, vor mir abzuhauen. Sie hat keine Angst. Sie kneift kurz die Augen zu. Dann dreht sie sich wieder weg. Sie nimmt ihre Kamera vor ihr Gesicht. Sie knipst.

Wer nimmt heute noch einen Fotoapparat? Selbst mein Schrottding von Handy kann bessere Fotos machen als so ein Gerät. Oder ich begreife es einfach nicht. Und was ich nicht begreife, ist nicht relevant.

„Hey, bist du taub? Was machst du da?“ wiederhole ich.

Sie dreht sich wieder zu mir. Sie knipst mich.

„Was soll das? Hör auf damit. Ich will nicht fotografiert werden,“ entgegne ich ihr. Ich reiß ihr gleich das Ding aus der Hand und schleudere es in den Kanal. Was will die Fette schon machen? Obwohl? Sie ist gar nicht fett. Sie ist maximal pummelig. Also höchstens pummelig. Sie ist eigentlich ganz niedlich.

„Ich fotografiere alles Gegensätzliche,“ sagt sie. Sie hat eine schöne Stimme.

„Gegensätzlich?“ will ich wissen. Will sie mich provozieren. Soll ich ihr eine reinhauen. Kann ich Frauen schlagen? Habe nicht immer alle gesagt, dass man Mädchen nicht schlägt? Habe ich mich deshalb von der dicken Melanie in der dritten Klasse auf dem Pausenhof verprügeln lassen. Weil man Mädchen nicht schlägt. Auch nicht die bösen, großen und fiesen.

„Kontraste. Die anarchische Chromebombe zum geplante Brückenpfeiler. Dein grimmiges Gesicht zu den Sonnenstrahlen,“ erläutert sie. Mir imponiert, dass sie Chromebombe gesagt hat. Es macht mich irgendwie geil.

„Komisch,“ sage ich.

„Komisch, dass du dich hier aufregst. Warum?“ will sie wissen.

Ich habe keine Antwort. Oder kann ihr nicht antworten. Ich kann ja nicht einfach einer Fremden mitteilen, dass die Bombe mein Werk ist. Das ich GLOW bin. Oder?

Nein.

„Ich dachte…,“ sage ich. Dann breche ich ab. Wir schweigen. Mir fällt nichts ein. Ich drehe mich einfach um und gehe weg.

„Hallo? Jetzt frage ich mich, was das soll?“ ruft sie. Sie läuft mir hinterher. Sie ist definitiv nicht pummelig. Sonst wäre sie nicht so schnell. Ihre Klamotten lassen sie dicker aussehen. Weites T-Shirt. Weite Hose.

„War eine Verwechslung,“ sage ich.

Ich schaue sie nicht an. Ich gehe einfach geradeaus, in eine andere Richtung. In die Richtung, von der ich gekommen bin. Zurück zur Arbeit. Mein Alptraum wird mich aus dieser peinlichen Situation bringen. Am Werktor bin ich safe.

Aber bis dahin sind es noch 500 Meter.

Sie greift mich am Handgelenk.

„Hast du keine Angst?“ frage ich. Ich versuche böse drein zuschauen. Bei ihr klappt es nicht.

„Warum sollte ich?“ will sie wissen.

Gute Frage. Sie blickt in mich hinein. Sie erkennt, dass ich ihr nichts antun werde. Omas, Kinder und Spießer können das nicht. Sie stempeln mich ab. Als Psycho. Weil ich anders bin.

„Weil ich anders bin,“ schleudere ich ihr meinen letzten Gedanken entgegen.

„Ich bin auch anders,“ sagt sie. Sie schaut mich an. Ihre kleinen Augen kleben an mir wie Kaugummi. Ich mag Kaugummi.

„Julia. Aber alle nennen mich Jule,“ stellt sie sich vor. Sie reicht mir die Hand. Wie förmlich.

„Fabian. Alle nennen mich Fabian,“ antworte ich. Ich greife ihre Hand. Sie ist warm. Sie ist zart. Sie fühlt sich gut an. Sie lächelt. Dann zieht sie ihre Hand weg. Ich habe sie zu lange gehalten.

„Cooles Shirt,“ sagt sie.

„Echt?“ hinterfrage ich. Es ist ein K.I.Z Shirt. Das mit dem Penis.

„Ja, ich liebe K.I.Z. Ich war in Berlin auf nem Konzert. War Anfang des Jahres. Richtig ausgerastet,“ meint sie.

„Schön,“ antworte ich. Wieder schweigen.

„Was willst du hier?“ fragt sie.

„Ich gehe nach Hause.“

„Von wo kommst du?“

„Von der Arbeit.“

„Was arbeitest du?“

„Langweilig. Montage,“ antworte ich wieder.

Sie nickt mit dem Kopf. Sie ist aus einer anderen Welt. Aus einer bunten. Aus einer Welt voller Jas. Aus Hoffnung und Freude. Was soll ich schon fragen? Aber ich will nicht, dass sie geht. Ich will nicht, dass sie sich peinlich berührt fühlt. Ich will etwas fragen.

„Und du? Was machst du?“ traue ich mich dann auch.

„Ich studiere noch. Kunst. Nebenher habe ich einen Website und bin auf Social Media aktiv. Mit den Fotos halt. Alles ohne Worte. Nur Bilder,“ antwortet sie.

So so, Social Media. Sich nach draußen tragen. Aufmerksamkeit einfordern. Sich wichtigmachen. Antworten geben, obwohl man nicht gefragt wurde. Ich habe keinen Facebook Account. Insta ballere ich nicht. Da klicke ich mich nur so durch.

„Cool,“ lüge ich. Jule schaut mich an. Erwartungsvoll. Als müsse jetzt was kommen. Es kommt nichts.

„JulePixelPics. Auf allen Kanälen. Kurz und schmerzlos. Die Website mit nem com am Ende,“ sagt sie.

„Aha,“ erwidere ich. Klingt ein bisschen wie eine Pornosite.

Sie schaut mich wieder so an. Mein Herz schlägt. Mein Herz pocht. Es soll aufhören. Ich will das nicht. Schweiß auf meiner Stirn.

„Naja. Vielleicht sieht man sich ja,“ meint Jule.

„Vielleicht,“ antworte ich.

Jule guckt noch einmal kurz. Dann dreht sie sich um. Sie verschwindet. Ich sehe ihr kurz nach. Wie ein Spanner. Dann stopfe ich mir Kopfhörer in die Ohren. Irgendein Rap. Ich kann mich nicht auf den Text konzentrieren. Zu viel Jule. Warum denke ich an sie. Was läuft da falsch bei mir?

Ich bin unterfickt. Aber bin ich das nicht schon immer? Mir reicht wichsen. Mir reichen die Pornoseiten. So schmutzig kann es mir keine geben. Und mir macht nur dreckig Spaß. So eklig. So richtig.

Der letzte Fick war mit Sylvie. Das ist Jahre her. Ich könnte wieder als Jungfrau durchgehen. Aber ich habe auch einfach keinen Bock, etwas aufzureißen. Etwas klarzumachen. Oder wie man es nennt. Schwachsinn. Und Zeitverschwendung. Xnxx.com ist einfacher.

Ich nehme doch den Bus. Zwei Jungs quatschen drei Mädels voll. Sie sind keine 16. Alle. Die Jungs quatschen pausenlos. Sie machen sich zum Affen. Ich schalte meine Mucke aus. Und lausche. Sie reden über Klamotten. Sie zeigen eine Tasche. Irgendwelche Designer. Irgendwelche Adjektive, die ich noch nie gehört habe. Einfach nur Bullshit.

Den Mädels gefällt es. Sie adden die Jungs in irgendeinem Netzwerk. Die Jungs sind besser als ich. Die Jungs werden schon bald mehr gefickt haben als ich.

Wie erbärmlich klinge ich? Wie so ein Depriwichser. Ich muss damit aufhören. Ich bin GLOW. Ich bemale Züge. Ihr Feiglinge pisst euch in der Nacht ein.

Wieder zu hause. MC Bomber an. So richtig laut. Und Taktloss. Ja, soll der scheiß Nachbar wissen, was für ein gestörtes Schwein ich bin. Ich nicke mit dem Kopf. Ich sitze auf meinem verfluchten Boden. Ich drehe mir eine Tüte.

Für Gras habe ich immer Kohle. Immer. Für neue Klamotten nicht. Für gesundes Essen nicht. Für Pay TV nicht. Netflix teile ich mir mit Chewie. Was heißt teilen. Er zahlt und ich schaue einfach mit. Und Amazon läuft immer noch über Sylvie. Wahrscheinlich weiß sie gar nicht, dass ich noch im Account hänge. Nach fast drei Jahren kann man das mal vergessen. Genauso wie einen Passwortwechsel. Genauso wie unsere Beziehung. Sie hat mir nichts gebracht. Ich habe ihr nichts gebracht. Wahrscheinlich, weil wir es beide nicht bringen. Tüte angesteckt. Auf das Sofa gelegt. Mucke aus. Den neuen Rambo an. Scheißfilm. Aber irgendwie geil. Irgendwie traumhaft. Irgendwie wäre ich auch gern ein gestörter Soldat. Ein Grund für meinen Wahn. Aber so bin ich grundlos gestört.