Schwangerschaftstest

Ich sitze auf dem Sofa. Ich starre durch die Wohnung. Auf diesen Teppich. Auf diesen Tisch. Auf diesen Fernseher. Ich schlucke. Aber da kommt wieder alles hoch. Ich kann da nichts gegen machen. Das überkommt mich. Und ich fange an zu weinen. Ich schluchze. Und ich spüre wie mir die Tränen übers Gesicht laufen. Ich schmecke die salzigen Tränen auf meiner Lippe.

Wie ist das alles passiert? Wie bin ich hier hingekommen? Und warum?

Da hilft kein Trübsal blasen. Ich muss das durchstehen. Irgendwie. Aber für wie lang? Es dauert doch schon zu lang.

Ich gehe in die Küche. Ich schneide die Zwiebeln. Ich heule weiter. Ich schneide die Tomaten. Den Knoblauch. Den Koriander. Irgendwann das Fleisch. Die Tränen schwinden.

Handlung lenkt ab. Handlung überschreibt die Wirklichkeit. Handlung unterdrückt die Gefühle. Ich handle gern. Ich würde gern mehr handeln.

Das Fleisch brät. Dann geht’s in den Backofen. Der Reis kocht vor sich hin. Wie die Tomaten. Das duftet. Die Wohnung füllt sich mit dem Duft der Gewürze. Lecker.

Die Tür geht auf. Er ist da. Der telefoniert wieder. Der telefoniert immer. Geht immer um die Arbeit. Dabei ist er so laut. Er kann noch lauter. Weiß ich.

Ich stelle die Teller auf den Tisch. Dann das Essen. Es dampft. Er ist auf Klo. Das macht der immer, wenn er nach Hause kommt.

Ich setze mich an den Tisch. Ich starre auf das Essen. Ich warte auf das Spülen. Ich atme. Schon fast meditativ. Dann höre ich das Signal aus der Toilette.

Ich tue erst ihm auf. Dann mir. Dann steht er in der Küche. Er nickt mir zu. Ich lächele. Es ist nicht echt.

Er schaufelt das Essen in sich hinein. Es schmeckt ihm. Das sehe ich. Ich schiebe das Fleisch zur Seite. Reis mit Tomaten. Lecker. Kochen kann ich.

„Die machen mich fertig. Die haben heute tatsächlich nen Kunden vergessen. Ist so schwer, gutes Personal zu finden,“ sagt er. Der ist wütend.

„Das tut mir leid für dich.“

„Wenn das so weiter geht, musst du mit. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann.“

Ich hasse dieses Geschäft. Ich hasse Autos. Und ich hasse diesen Geruch von der Werkstatt. Von Öl, Diesel und Metall. Sein Geschäft läuft gut. Da kommen viele und wir haben ausreichend Geld. Aber mehr Zeit mit ihm verbringen, ist noch mehr Hölle.

„Gut.“

„Gut.“

Wir essen. Wir reden nicht weiter. Der schaut etwas auf seinem Smartphone. Ein Video. Er lacht auf.

„Heute ist das Spiel. Ich schaue das mit den Jungs. In der Bar,“ meint er.

Ich nicke. Dann ist er abends nicht da. Ich erspare mir dann das, was er will.

„Hast du heute getestet?“ will er wissen.

Ich nicke.

„Und?“

Ich schüttle den Kopf.

Er schaut mich vorwurfsvoll an. Dann steht er auf.

Ich kämpfe gegen die Tränen. Ich will das nicht mehr.

Ich räume ab. Er telefoniert wieder. Dann höre ich die Tür ins Schloss fallen. Er ist weg.

Das Telefon klingelt. Ich nehme ab. Es ist Mama.

„Bist du allein?“ will sie wissen. Das fragt sie immer.

„Ja.“

„Wie geht’s dir?“

„Gut.“

„Klingst nicht so.“

„Geht aber gut.“

„Ich mache mir Sorgen. Dein Bruder macht sich Sorgen. Wir machen uns alle Sorgen. Du bist so weit weg. Komm doch zurück.“

„Ich bin verheiratet.“

„Wir sind ja nicht mehr im 19. Jahrhundert. Man kann sich verlassen.“
„So wie du Papa?“

„Hör auf. Das ist Jahre her.“

„Außerdem hat er so viel für mich getan.“

„Ja? Was denn?“

Ich überlege. Ich erinnere mich. Der hat mir Halt gegeben. Der hat mir unter die Arme gegriffen als alles am Boden lag. Als ich die Rechnung für meinen Laden nicht mehr zahlen konnte. Als der Vermieter mich erpressen wollte. Er hat dem klargemacht, dass es so nicht geht.

Mama wartet auf eine Antwort. Ich antworte nicht.

„Übrigens. Joshuas Mutter ist gestorben. Die war doch so schwer krank, oder?“

Zurück

Die hatte irgendetwas. Ich glaube, es war Krebs. Oder was mit dem Kopf? Da waren wir schon lang nicht mehr zusammen. Obwohl, es war für damals lang. Was sind heute schon zwei Jahre? Zwei Jahre vergehen wie ein Wimpernschlag. Wie lange bin ich jetzt schon mit ihm verheiratet? Wie lange bin ich mit Joshua auseinander? Und warum haben wir uns damals getrennt?

Wir waren jung. Wir waren unsere erste Beziehung. Er sogar mein erstes Mal. Und wir waren gar nicht so kurz zusammen. 5 oder 6 Jahre. Klar, dazwischen immer so ne Unterbrechung, weil wir jung waren. Weil wir nicht wussten, was wir wollten und ob wir uns wollten. Aber wir haben uns nie betrogen. Und überhaupt war Joshua so freundlich. Der hat mir so viel geschenkt.

Ich gehe ins Schlafzimmer. Ich krame in meiner Schmuckschatulle. Und da liegt tatsächlich noch die silberne Kette mit dem Herz. So ganz schlicht. So wie ich es als junge Frau getragen hatte. Als ich noch zart war. Ich lege sie mir um. Ich schaue mich im Spiegel an. Jetzt bin ich alt. 35. Und keine Kinder. Wie es wohl Joshua geht? Ob der Kinder hat.

Bestimmt. Bestimmt mindestens drei. Der war so verspielt. Das kann der nicht verloren haben. Wir haben so viel gelacht. Weil wir so viel getobt haben. Alles war ein Spiel. Und immer kitzeln, küssen und lachen. Lachen. Das fehlt mir.

Und der ist bestimmt so traurig. Joshua hat seine Mama immer geliebt. Der hat immer nur Gutes von der erzählt. Die haben sogar regelmäßig was zusammen unternommen. Waren nen Kaffee trinken oder Essen. Komisch für nen jungen Mann. Aber ihm war das egal. Vielleicht wusste er, dass seine Mama krank werden würde. Oder hatte so eine Ahnung. Joshua wusste ja immer so vieles. Und so oft, wie es mir ging. Vor allem während der Trennung von Mama und Papa. Da war ich fertig mit den Nerven. Und als Ricky einfach abgehauen ist und zwei Monate nicht wieder kam. Joshua ist mit mir in alle großen Städte gefahren, um meinen kleinen Bruder zu finden. Konnte ja keiner wissen, dass er sich bei nem Kumpel auf dem Dachboden versteckt hielt.

Mit Joshua habe ich was erlebt. So viel, was mich geprägt hat. So viel, was wir das erste Mal gemacht haben. Klar, Sex. Aber auch Reisen. Feiern. In den Armen eines Mannes weinen. Seine Tränen auffangen. Schule abschließen.

Ich hoffe einfach, dass er nicht allein ist. Das er jemanden hat, der ihn hält. So wie ich. So wie ich? Nein. Ich bin allein. Er ist immer weg. Selbst wenn er hier ist, ist er nicht bei mir. Würde ein Kind es ändern?

Mit Joshua wäre es anders. Da hätte ich schon eine Familie. Ne Tochter und nen Sohn. Und ich hätte nen tollen Job. Ich würde noch am Theater arbeiten. Würde dort die Schauspieler schminken. Und nach den Aufstellungen würden wir feiern. So wie früher. Aber diesmal mit Joshua.

Wann bin ich falsch abgebogen? Wann habe ich Joshua verloren?

Ich lege mich ins Bett. Ich schließe die Augen. Ich befühle die Kette.

Er war studieren. Und ich habe die Ausbildung angefangen. Wir haben neue Leute kennengelernt. Wir wollten uns nicht mehr so sehr. Vor allem ich nicht. Und dann war es aus. Dann habe ich es beendet. Und dann bin ich weg. Ich habe Joshua zurückgelassen.

Was das mit ihm gemacht hat? Das wird ihm zugesetzt haben. Der hat seinen Kummer ertränkt. Da gab es noch böse Nachrichten per SMS von ihm. Und dann habe ich die Nummer gewechselt. Den Kontakt beendet. Von ihm nur über Freunde von Freunden gehört. Das habe ich weggeworfen.

Und der hat immer so viel geschrieben. Also für mich. Wie er mich liebt. Wer ich für ihn bin. Was ich bedeute. Und das habe ich alles weggeworfen. Einfach in den Müll. Ohne Ritual. Ohne es noch einmal zu lesen. Jetzt wünsche ich mir seine Worte. Irgendwo. Ich weiß noch, wie seine Handschrift aussah. So wie ich weiß, wie er gerochen hat. So wie ich weiß, wie er klang.

Ich gehe ins Wohnzimmer. In einer Schublade muss noch eine Trauerkarte liegen. Ich finde die. Ich klappe die auf. Dann schreibe ich. Das es mir leid tut. Aber eigentlich bedauere ich damit nicht den Tod von Joshuas Mama. Es ist unsere Trennung. Das tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich Joshua aus den Augen verloren habe. Und auch, dass ich mich jetzt nach ihm sehne.

Die Tür klickt. Dann fällt etwas um. Das war der Wischmopp. Dann kippt noch etwas um. Der Eimer. Und ich höre das Wasser rauslaufen.

„Was ist das für eine Scheiße! Was macht die wieder für einen Müll. Die ist zu nichts zu gebrauchen!“ brüllt er wütend.

Ich schiebe die Karte für Joshua in den Briefumschlag. Dann verstecke ich den unter meinem Kopfkissen.

Warten

Es riecht wieder nach seinem Parfüm. Nach seinem Duschgel. Nach seinem Körpergeruch.

„Heute essen wir früher.“

Ich nicke ihm zu.

Dann verschwindet er. Da gibt es keinen Kuss. Er hat letzte Nacht genug Zärtlichkeiten ausgetauscht. Mir schmerzt der Unterleib. Das ist so ein stechender Schmerz. So ein anschwellender.

Ich gehe ins Badezimmer. Ich schnappe mir nen Test. Dann pinkle ich drauf. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob ich das will. Gerade jetzt, wo ich Joshua den Brief geschickt habe. Seine Adresse zu finden, war die reinste Sisyphus Arbeit. Der steht nicht im Telefonbuch und Mama hat auch nichts im Internet gefunden. Aber sein Vater lebt ja noch. Dessen Adresse stand in der Todesanzeige, die Mama mir aus ihrer Zeitung vorgelesen hatte. An die habe ich die Karte versendet.

Die Zeit ist um. Ich bin nicht schwanger. Ich atme durch. Ich schaue aus dem Fenster. Ich warte auf die Post. Oder warte ich auf Joshua?

Joshua wird den Brief spätestens vorgestern erhalten haben. Und dann hat der bestimmt gleich geantwortet. Die Beisetzung seiner Mutter war bereits vor drei Tagen. Deshalb hat er bestimmt Urlaub und Zeit mir zu antworten. Obwohl, der könnte mich auch suchen. Vielleicht kommt der hier her. Schließlich habe ich ihm ja meine Adresse auf die Vorderseite geschrieben. Er kann mich finden.

Mir wird warm ums Herz. Ich schminke mich. Ich lege mir neue Kleidung zurecht.

Dann geht die Haustür auf. Ich erschrecke. Er ist zurück. Er hat etwas vergessen.

„Ah,“ meint er. Er mustert mich. Er beleckt sich die Zähne.

„Du weißt, was einem Mann gefällt.“

Dann kommt er auf mich zu. Er küsst mir den Hals. Er fasst um meine Hüfte. Er drückt meinen Kopf hinunter. Ich soll ihn da küssen und so.

„Da komme ich gern zu spät.“

Ich mache, was er will. Er zieht mich hoch. Dann schubst er mich aufs Bett. Ich mache die Beine breit. Er ist grob. Der Schmerz wird stärker. Er schreit auf. Ich beiße mir auf die Zähne.

Dann zieht er raus. Er zieht seine Hose hoch.

„Da machen wir weiter, wenn ich von der Arbeit komme.“

Er lacht. Dann verschwindet er.

Die Tür fällt ins Schloss. Ich beginne zu weinen. So richtig. Ich muss unter die Dusche. Ich muss mich waschen. Ich trage etwas auf die wunden Stellen auf.

Bald ist es vorbei. Bald holt mich Joshua hier raus. Da bin ich mir sicher. Und was, wenn er da ist?

Joshua wird mich beschützen können. Joshua war schon immer stark. Und schlau und vor allem mutig. Der lässt sich von ihm nicht einschüchtern. Joshua ruft auch die Polizei.

Ich ziehe mich wieder an. Ich richtige mich her. Ich schaue wieder aus dem Fenster. Da kommt die Postbotin. Ich haste das Treppenhaus herunter.

„Gute Morgen.“

„Morgen. Ist etwas für mich dabei?“

„Für Ihren Mann,“ sagt die Postbotin.

In mir zerbricht eine Welt. Ich weine wieder. Die Postbotin schaut mich an.

„So wichtig?“ will sie wissen.

„Ja.“

„Dann kommt der Brief bestimmt morgen.“

„Bestimmt,“ sage ich. Ich gehe zurück in die Wohnung.

Den Tag über starre ich aus dem Fenster. Ich hoffe, dass Joshua kommt und mich holt. Joshua ist meine Hoffnung. Joshua ist meine Rettung.

Das Türschloss klickt. Er ist zurück.

„Riecht ja nach nichts. Hast du nichts gekocht?“

Ich habe es vergessen. Ich werde rot. Ich kriege Angst.

Er geht in die Küche. Er sieht das leere Ceranfeld.

„Was hast du den ganzen Tag gemacht? Warst du weg? War jemand hier? War jemand in meiner Wohnung? Was fällt dir ein!“

Er ist jetzt ganz nahe. So wie ich es kenne. Ich fürchte mich. Die Angst ist begründet. Ich lasse es über mich ergehen. Wie immer. Aber diesmal in der Hoffnung, dass es bald vorbei ist. Weil Joshua kommen wird.